1.8. Römische Wasserleitung

Eine besondere Überraschung verbarg sich in der nordwestlichen Ecke des Mosaiks, wo sich eine größere Störung in Form eines Loches befand. Das von Menschenhand erweiterte, im Durchmesser ca. 1,5 m große Einstiegsloch, führte in einen unbekannten unterirdischen und gewölbten Wasserkanal, der den Hauptraum leicht diagonal querte (siehe Abb. 14). Die Überreste einer unterirdischen Wasserleitung, auch Stollenwasserleitung oder Qanat genannt.

Alexander Wiltheim notierte zwischen 1661 und 1677 in seiner „Luciliburgensia Romana“ (; ) über den unterirdischen Wasserkanal in Vichten: „Aquaeductus sub terra modo latens, …“ (Unter der Erde liegt dort heute noch ein Aquädukt, …). Dessen Verlängerung zum Bach Viicht hin abfließt und noch heute auf der topografischen Karte von Vichten als gestrichelte Linie nachgezeichnet ist (siehe Abb. 7).

Von der Hangseite war im Anschnitt der zerstörte und freigelegte, ehemals gewölbte, Tunnel des Aquädukts (lat. acquaeductus = Wasserleitung) klar zu erkennen. Die Stollenwasserleitung querte im Bereich der Galerie 7 und den Hauptraum 1 mit dem „Musen-Mosaik“ in nordsüdlicher Richtung zum Bach Viicht hin. Der Verlauf des Tunnels, von der rückwärtigen Galerie bis kurz hinter die Stützmauer, konnte auf einer Länge von rund 30 m verfolgt werden. Mehr als die Hälfte der lokalisierten Strecke, unterhalb des Hauptraums, der Portikus und der vorderseitigen Stützmauer war begehbar. Im rückwärtigen Bereich von der Galerie bis zur Grabungskante lugte der Tunnelaufschluss aus dem Hang wie ein Mundloch heraus. Im Bereich des Hauptraums und des Portikus erfuhr der Tunnel zwei Richtungskorrekturen, um die schräg aus dem Hang verlaufende Linie axial in Richtung des weiter unten angedachten Zierteichs in der Talsohle zu führen.

Expand Expand Abb. 14
Freigelegter Tunnel der Stollenwasseranlage mit Einstiegsloch (markiert), Blickrichtung nach Süden (Quelle: MNHA/Rainier Fischer, 1995)

Verantwortlich für die Schwächung des Tunnels an dieser Stelle waren die Tieferlegung und Planierung des Bodens für den Mosaikestrich. Hierbei wurde die Steinstickung des Tunnels angeschnitten. Dem Druck des Zerstörungsschutts und des eingeschwemmten Erdreichs konnte die Statik des Tunnels an dieser Stelle nicht standhalten und das Mosaik brach teilweise ein und wurde zu späteren Zeiten von Menschenhand vergrößert (siehe Abb. 15).

Expand Expand Abb. 15
Bruchkante der Steinstickung des Tunnels, Blickrichtung nach Norden. Ausschnitt Feld I (Quelle: MNHA/Rainier Fischer, 1996)

Der Tunnel bestand aus einer U-förmigen Wasserrinne aus Stampfbeton, der ein über einem Lehrgerüst gemauertes Gewölbe überspannte. Aufgrund des hervorragenden Erhaltungszustandes können ebenfalls Aussagen zur Beschaffenheit der Oberfläche und Verarbeitung gemacht werden: Ein hydraulischer Ziegel-Kalk-Mörtel, der opus caementitium1, eine Erfindung der römischen Ingenieure (), versiegelte den Tunnel und minimierte den Wasserverlust. Im Bodenbereich dichteten links und rechts ein sorgfältig ausgeführter halbkreisförmiger Rundstab (Viertelrundstab) die Bodenplatte aus wasserfestem römischem Beton ab (). Dieser konnte nach VITRUV aus gesiebten Steinen, gebranntem Kalk, Puzzolan (z.B. vulkanische Tuffschicht = Trass), sowie Wasser bestehen.

Eine Materialprüfung am Römischen Beton der Eifel-Wasserleitung nach Köln (siehe Abb. 16), die im Kornaufbau und Magerung mit Ziegelsplitt nach Augenschein der Wasserleitung (siehe Abb. 17) und dem Mosaikestrich von Vichten entspricht, erbrachte ähnliche Werte für die Druckfestigkeit. Eine Druckfestigkeit von 9,9 und 11,1 N/mm2 für die Kölner Wasserleitung entspricht nicht ganz der Qualität von gemessenen 16,9 und 21,2 N/mm2 am Vichtener Mosaikestrich (siehe Kapitel Druckfestigkeit - Substruktion).

Eine solche drucklose, lotrecht bemessene Gefälleleitung, abgedeckt mit Natursteinplatten oder gemauerter Wölbung (), konnte mit einer Breite von rund 60 cm (2 pes) und einer Höhe von 90 cm (3 pes) eine beachtliche Menge Wasser talwärts transportieren (). Ein beachtliches Zeugnis römischer Ingenieurkunst.

Expand Expand Abb. 16
Schnitt im Maßstab 1:50 durch die römische Wasserleitung (2. Jh. n. Chr.) mit einer hochgezogenen Bodenabdichtung bei Buschhoven (Rhein-Sieg-Kreis) (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto LVR-Landesmuseum Bonn, LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland)
Expand Expand Abb. 17
Variante aus Vichten mit einer Bodenabdichtung im Viertelstab, Blickrichtung nach Süden (Quelle: MNHA/Rainier Fischer, 1995)

Die außergewöhnliche Härte und Wasserresistenz des römischen Betons resultierte aus Zuschlägen von Ziegelsplitt und feinem Gesteinsmehl aus Eruptivgestein Tuff in Form von Trass, ein natürliches Puzzolan (lat. pulvis puteolanus). Fehlen nur noch als weitere Zuschlagsstoffe Sand und Wasser, welche dem Bindemittel Kalkstein, bei 1000 Grad C gebrannt, beigemengt werden. Diese dem Terrazzo ähnliche Masse band, wegen ihres Gehaltes an porösem Ziegelbruch und Trass, auch unter Wasser ab und neigte weniger zur Bildung von Rissen.

„Auch gestoßenes oder gemahlenes Ziegelklein verschiedener Korngröße, Ziegelmehl und Beimengung von Holzkohle haben schwach puzzolanische Eigenschaften und werden vornehmlich für die Estriche und Feinputzoberflächen von Bodenmosaiken verwendet“ ().

Während der Freilegungsarbeiten an den Rückseiten der Mosaikfelder, wurden organische Reste extrahiert und ausgewertet. Zum Beispiel wurde eine Holzprobe am Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie in Mannheim von Dr. Ronny Friedrich am 10. August 2019 mittels einer Altersbestimmung mit Radiokohlenstoff (C 14) auf ein überraschendes Alter von BP 9564 (8064 v. Chr.) datiert. Wahrscheinlich ist bei dem römischen Abbau der vulkanischen Tuffschichten im Anfang des 3. Jahrhundert in der Gegend des Ulmer Maares in der Vulkaneifel das, in einem „Trassklumpen“ der verarbeiteten Pyroklastika2 eingeschlossene, Holzfragment nach Vichten verschleppt und dort mit dem Mörtel verarbeitet worden (siehe Abb. 18). Der letzte datierbare Vulkanausbruch im Ulmener Maar vor BP 9560 Jahren entspricht dem Alter der Holzprobe. Die Holzprobe (siehe Kapitel Römischer Beton) und die letzte Eruption am Ulmener Maar () überlappen im Fehlerbereich.

Expand Expand Abb. 18
Grafik der Holzsplitteranalyse vom Estrich des Vichtener „Musen-Mosaiks“ (Quelle: CEZA, Mannheim, 2019)

Gegen eine Nutzung als Abwasserkanal, um das hangseitige Regenwasser abzuleiten, spricht die hohe Qualität und der große Aufwand der baulichen Ausführung des Tunnels. Mit der gleichen Qualität und Sorgfalt wurde die römische Stadt Köln im 2. Jahrhundert mit frischem Quellwasser versorgt (): Der Schnitt des Aquädukts bei Buschhoven (siehe Abb. 16) zeigt eine U-förmige Wasserrinne aus Stampfbeton, die mit einem wasserdichten Ziegel-Kalk-Mörtel abgedichtet wurde (). Die Abdichtung wurde an den Wänden hochgezogen und unterscheidet sich von der zusätzlichen Viertelstababdichtung in den Bodenecken der Vichtener Ausführung. Nicht unüblich bei der Verlegung von längeren Strecken variierten die Varianten von Baulos zu Baulos. Ganz rechts im Foto (siehe Abb. 17) ist die Korrektur der Streckenverlegung als abgerundeter Knick erkennbar und oben ein keilförmiger Stein des Gewölbes.

Gutes und sauberes Trinkwasser blieben für die Versorgung der Bevölkerung, des Viehs und der Gärten in ökonomischer und ökologischer Hinsicht ein wichtiger Faktor. Die mit großem Aufwand betriebene Trinkwasserversorgung zapfte eine im Hang gelegene Wassergewinnungszone an und führte scherenförmig zu einem Sammler. Von hier aus konnte durch die Untertunnelung das kostbare Nass hangabwärts zur Entnahmestelle weitergeleitet werden. Das frische Quellwasser bot im Sommer angenehme Kühle und war im Winter aufgrund des Tunnels frostgeschützt ().

Walferdingen-Helmsingen, Emeringen-Schwarzaerd, Noertzingen () und Frisingen () sind „auf dem Gebiet des heutigen Großherzogtums gefundenen Tunnelbauten zur Wassergewinnung in einem engen Zusammenhang mit den im Saar-Mosel-Raum auf deutschem Gebiet gefundenen Anlagen zu sehen. Das hat zum einen mit der auffälligen Häufung von Fundorten antiker Tunnel in dieser Region zu tun, zum anderen aber auch mit der auffällig gleichen Technik des Tunnelbaus, denn es sind ausschließlich nach dem Qanat-Verfahren gebaute Anlagen vorzufinden“ (). So verwundert es nicht, dass diese aufwendige Art der Trinkwasserversorgung womöglich häufiger, nicht nur im Treverergebiet, zum Einsatz kam, als bisher der Forschung bekannt ist ().

Als Beispiel sei der Befund einer in Qanatbauweise errichteten Stollenwasseranlage von Emeringen-Schwarzaerd () genannt, bei dem die Wassergewinnungszone oberhalb im Hang durch zwei scherenförmig geöffnete Tunnelarme erschlossen und ausgebeutet wurde (siehe Abb. 19). Die Wartungsschächte, der bei Dalheim gelegenen Wasserleitung, zeichnen sich in der Vegetation als dunkle Flecken ab. An der Stelle, wo die beiden Arme zusammentrafen, wurde das Wasser wahrscheinlich einem Sammler zugeführt und über den Hangtunnel zur tiefer gelegenen römischen Axial-Villa geleitet. „Die Ausrichtung der Anfangsstrecke des rund 300 m langen Tunnels zeigt aber eindeutig auf die Villa“ ().

Expand Expand Abb. 19
Luftbildaufnahme mit scherenförmiger Stollenwasseranlage mit Wartungsschächten, Blickrichtung nach Süden (Quelle: Administration des ponts et chaussées/André Schoellen, 1994)

Die auch am Vichtener Hang zu vermutenden, ehemals abgeteuften Luft- und Revisionsschächte der Wasserleitung, die in bestimmten Abständen von einem actus (120 römische Fuß = 36 m) (; ) sich hangaufwärts bis zu der ebenfalls unbekannten Quelle verteilten, ermöglichten dem Erbauer diese von Zeit zu Zeit zu reinigen und Reparaturarbeiten vorzunehmen.

Oberhalb der Vichtener Villa entspringt links und rechts der Hangflanken im Distrikt Bärmich und Schëntgen (unweit der C. R. 305, Rue de Michelbouch und der C. R. 306) parallel zu einem Wirtschaftsweg, jeweils eine Quelle, die in den Bach Viicht münden. Ohne allzu großen finanziellen und technischen Aufwand war es möglich, dass Wasser der Hangquellen zu Tal zu führen.

Es ist schwer vorstellbar, dass, wie bei dem Raschpëtzer-Qanat bei Walferdingen, im Helmsinger Wald, mit Schachtteufen von bis zu 35 m und auf einer Gesamtlänge von 600 m der Hang durchstoßen wurde, um auf der Rückseite ein Wasserdargebot auszuschöpfen (). Dieser zeitliche und finanzielle Aufwand steht in keiner Relation zur alleinigen Trinkwasserversorgung eines römischen Landgutes und spricht, eher wie im Falle des in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Raschpëtzer-Stollenwasseranlage, auch für die Versorgung einer im Tal liegenden Siedlung oder weiteren Villa bei Heisdorf ().

Wahrscheinlich stammt die Untertunnelung des Kernbaues der Vichtener Villa aus der großen steinernen Neubauphase gegen Ende des 1. Jahrhunderts oder Mitte des 2. Jahrhunderts. Interessanterweise datieren die bauähnlichen Aquädukte von Walferdingen, Emeringen-Schwarzaerd, Noertzingen und bei Buschhoven (Rhein-Sieg-Kreis) in die Mitte des 2. Jahrhunderts. Es liegt nahe, die Vichtener Stollenwasseranlage ebenfalls in dieses Zeitfenster zu verorten.

Ein wasserdichter Trass-Bettungsmörtel, der vor aufsteigender Feuchtigkeit und gegen Frost in der kalten Jahreszeit schützte, wurde nicht nur für den Bau der Wasserleitung verwendet, sondern auch für den Estrich des „Musen-Mosaiks“. Der gleiche Werkstoff fand auch Verwendung als Konstruktionsmaterial für Bade- und Thermenanlagen, Brunnen, Schwimmbecken, Wasserspiele und künstliche Grotten (Nymphäum, bewohnt von Musen!) oder als Werkstoff, mit dessen Hilfe die Maischebecken der Kelteranlagen den Betrieb der römischen Weinrebenanpflanzungen an Mosel und Sauer einst möglich machten (; ).

Dass ein wahrer Kern in alten Sagen verborgen ist, zeigte sich nach dem Auffinden der Störung in der Tunnelung des Mosaikraums. Es hatten sich etliche Sagen erhalten, die das Vorhandensein dieser Wasserleitung aufgriffen: sie berichten von Zwergen die im Hang wohnten. Oder von „Wichtelcheslächer“, in denen sich die Menschen bei Gefahr oder schon lang zurückliegenden Kriegserlebnissen in verborgenen Gängen in den „Raschpëtzer“ bei Helmsingen () oder im Vichtener Hang () versteckten. Auch Alexander Wiltheim vermerkte im 17. Jahrhundert über die Dorfbewohner Vichtens diese Vorsichtsmaßnahme (; ): „… sed per bella saepe a vicanis apertus, ut a populatione hostium sua ibi recondita servarent“. So zeugen auch Mosaikreste im Fundspektrum der rückwärtigen Galerie 7 - in Sichtachse zur Störung zum Mosaik - und im Tunnel von den menschlichen Eingriffen vergangener Tage.


  1. Opus caementitium, dem Werk aus behauenem Stein, ist ein hydraulischer Beton, der durch die Zugabe von Puzzolan (vulkanische Asche oder Ziegelklein) wasserdicht ist und unter Wasser aushärtet. Das moderne Wort Zement leitet sich vom lateinischen Begriff caementitium ab. ↩︎

  2. „Und es gibt keinen Vulkan in der Eifel der sonst in Frage kommen würde/könnte als möglicher Lieferant der Pyroklastika“. Hinweis Dr. Romain Meyer, Administration des ponts et chaussées (Service géologique de l‘État). ↩︎

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