2.7. Der Baustoff Marmor

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Grabungsplanausschnitt Raum 1 (Quelle: MNHA/Rainier Fischer auf Grundlage von Véronique Biwer)

Der Begriff Marmor wird in der Wissenschaft unterschiedlich verwendet. Demnach wird an dieser Stelle der Begriff so definiert wie er in dieser Arbeit benutzt wird. In der Archäologie und im Allgemeinen als Kulturbegriff werden alle polierfähigen Gesteine unterschiedlichster Ausprägung als Marmore bezeichnet. In der Petrologie hingegen wird unter dem Begriff Marmor, ausschließlich Karbonatgestein zusammengefasst, welches nach der Ablagerung unter hohen Drücke und Temperaturen in der Erdkruste und in geologischen Zeiträumen metamorph überprägt wurde. Hauptbestandteile dieser metamorphen Gesteine sind die Minerale Calcit, Dolomit und Aragonit.

Wahrscheinlich wusste der ambitionierte Auftraggeber1, der die Umbau- und Renovierungsmaßnahmen beauftragte, um die prestigesteigernde Wirkung von Marmor als Bestandteil der Innenausstattung im öffentlichen wie privaten Bereich. Um sein Ansehen zu heben und als sichtbares Statussymbol wählte der Hausherr den luxeriösen Baustoff Marmor (altgriech. m‘armaros) in Form von schwarzgrauem Kohlekalk und anderen Sorten von weißen und bunten Natursteinen. In der römischen Aristokratie wurde früh durch die Verarbeitung des teuren griechischen Marmors in den Privathäusern der Prestigegewinn noch gesteigert. Dies veranlasste den bekannten römischen Philosophen SENECA im 1. Jahrhundert n. Chr. zu beißender Gesellschaftskritik2. Hier standen die Exotik des buntmächtigen Werkstoffs und die Kosten des Transportweges diametral zum gesteigerten Bedürfnis nach Anerkennung in der römischen Gesellschaft. Somit war es dem Vichtener Gutsherren durch die Verwendung von lokalem „Marmor“ dank ökonomischer Voraussetzungen auch möglich, sich in „politisch bedeutenden Kreisen“ in Trier, durch den nach außen gezeigten „Wertekanon“ auf sich aufmerksam zu machen ().

Nur, um den privaten Bedarf an Marmorluxus mit mediterranem Marmor wie in Rom zu befriedigen, bedarf es gewisser ökonomischer Ressourcen3. Um kostenintensive und zeitraubende Transportschwierigkeiten zu vermeiden, wurden vermehrt regional nutzbare Gesteinsvorkommen erschlossen und ausgebeutet. Die stetige technische und logistische Entwicklung basierte auf dem geologischen und petrografischen Spezialwissen von staatlichen römischen Ingenieuren auf der ehrgeizigen Suche nach geeigneten Fundstätten mit kräftigen und lebendigen Farben. Es entwickelte sich ab dem 1. Jahrhundert in den Nordwestprovinzen eine eigenständig, unter staatlicher Kontrolle stehende steinverarbeitende Industrie (), die sich lokaler Hartgesteine beziehungsweise Marmorsorten bediente und sich vom Import aus dem Mittelmeerraum emanzipierte (; ). Laut einer Grabinschrift bekleidete der in Südfrankreich lebende Semnone und Magister a marmoribus Lucinius Junius Urascius unter dem Severerkaiser SEPTIMIUS den prestigeträchtigen Titel eines „Praefectus tabellariis curitones marmorum“ ().

Allein der Transport der Kalksteinquader war sehr aufwändig, sowie kostenintensiv und erfolgte bevorzugt auf dem natürlichen Wasserweg durch flach gebaute Schiffe, sofern sie nicht schon im Steinbruch transportgerecht in kleine Blöcke oder Platten für die Fuhrwerke gesägt wurden. Auf diese Weise konnte durch die Gewichtsreduzierung der Transport erleichtert - in Bezug auf die geringen Wassertiefen der hiesigen Flüsse - und verbilligt werden. Weitere Preisfaktoren waren Kosten für die Steinbrucharbeit, Qualität des Marmors und spezielle Wünsche der Käufer.

Frühe Ausnahmen bezüglich der überregionalen Steinbeschaffung bildeten das gallo-römische Heiligtum von Andesina-Grand (Département Meurthe-et-Moselle) und das luxuriös ausgestattete 118 x 62 m große Herrenhaus der Großvilla von Echternach. Die Echternacher Villa, welche der spätneronischen-frühflavischen Zeit (ca. 60 bis 70 n. Chr.) zugeschrieben wird () überrascht mit ihrer Vielfalt an mediterranen Buntmarmoren: Die beachtliche Menge von über „1000 Marmorfragmenten […] von denen etwa vierhundert Bruchstücke die Reste von Profilierung aufweisen“ (). In Echternach wurden Materialstärken zwischen 8 mm bis 20 mm für die Wand- und 23 mm bis 50 mm für die Bodenplatten dokumentiert, wobei die Wandbruchstücke - im Gegensatz zum Vichtener Befund - durchgängig Bohrlöcher in den Lagerfugen für die Aufnahme von Haken aufwiesen. Die rund 25 verschiedenen Marmorsorten stammten aus Belgien (Ardennen), Frankreich (Alpen und Pyrenäen), Portugal, Griechenland und dem Mittelmeerraum. Ein ungeheurer Reichtum und Luxus, denn der Marmorbefund von Echternach, datiert um die Mitte des 1. Jahrhunderts, zeigt, dass der Besitzer neben regionalem Material vor allem kostenintensive Importware verarbeiten ließ.

Erst ab dem 1. und 2. Jahrhundert konnten auch lokale hochwertige Buntmarmore, wie belgischer Marmor oder Trierer Diabas bei Hinzenburg oder Pluwig an dem Bach Ruwer gelegen (), in ausreichender Menge abgebaut werden (). So stellt sich die Frage, ob der Mangel im 1. Jahrhundert an qualitätsvollem und vielfarbigem, hiesigem Marmor oder das starke Geltungsbedürfnis des vermögenden Auftraggebers den Ausschlag für die kostenintensive Innenausschmückung in der Echternacher Villa gab.

Für den Vichtener Villenbesitzer wurde rund 150 Jahre später jedoch der Erwerb von günstigerem, mediterranem Marmor erschwinglich, da das Angebot an Buntmarmor im Römischem Imperium zunahm und als Importware günstiger einzukaufen war. Folglich musste sich der finanzschwächere Bauherr nicht mehr nur mit dem Material lokaler Steinbrüche wie aus dem Maas- (lat. mosa), Ourthe- oder Amblève-Tal begnügen.


  1. . Siebentes Buch. Zweites Kapitel. Die ästhetischen Begriffe der Baukunst. S. 43. 9. „Denn offenbar müssen Gebäude in der Stadt anders eingerichtet werden, als die, in die Erzeugnisse aus ländlichen Besitzungen fließen; nicht ebenso die für Geldverleiher, anders für Reiche und üppige Leute mit feinem Geschmack. Und im Ganzen müssen die Einrichtungen der Gebäude immer den Bewohner angemessen ausgeführt werden“. ↩︎

  2. Der römische Philosoph und Naturforscher Lucius Anneus SENECA (geb. 1 v. Chr. in Cordoba - gest. 12 April 65 n. Chr. in Rom), der als Erzieher des jungen Kaisers NERO zu unerhörtem Reichtum gelangte, hatte trotzdem kein Problem die Dekadenz römischer Wohnkultur zu benennen: () „Arm kommt er sich vor und verächtlich, wenn die Wände nicht von großen und kostbaren Spiegeln glänzen, wenn nicht Marmor aus Alexandria mit numidischem Marmormosaik wechselt […] wenn nicht weißer Marmor aus Thassos, einstmal bei dem einen oder anderen Tempel ein seltener Anblick, unsere Badebecken einfaßt…“. ↩︎

  3. . Erstes Buch. Zweites Kapitel. Die ästhetischen Grundbegriffe der Baukunst. S. 43. 8. Die Distributio (Verteilung) aber „wird so beobachtet, wenn erstens der Architekt keine Baumaterialien anfordert die nicht (in der Nähe) gefunden werden oder nur teuer beschafft werden können. Nicht überall nämlich gibt es Grubensand, auch nicht Bruchsteine, nicht Tannenholz, Fichtenholz und Marmor, sondern das eine steht hier an, das andere dort, und ihr Transport ist schwierig und kostspielig“. ↩︎

Bibliografie

Dubarry de Lassale 2002
Dubarry de Lassale, J. (2002). Marmor Vorkommen, Bestimmung, Verarbeitung. Stuttgart.
Fischer 1997
Fischer, G. (1997). Antiker Marmorluxus von Rom bis zum Rhein. In Funde, Fotos, Modelle. Führer und Schriften des Regionalmusems Xanten, 44. Köln.
Metzler et al. 1981
Metzler, J., Zimmer, J., & Bakker, L. (1981). Ausgrabungen in Echternach. Luxemburg.
Ruppiené 2015
Ruppiené, V. (2015). Natursteinverkleidungen in den Bauten der Colonia Ulpia Traiana, Gesteinskundliche Analyse, Herkunftsbestimmung und Rekonstruktion. In M. Müller (Ed.), Xantener Berichte, 28. Xanten.
Ruppiené et al. 2019
Ruppiené, V., Gluhak, T., Schüssler, U., & Simmacher, A. (2019). Marmora aus dem römischen Deutschland: Vorkommen, Abbau und Verwendung. In Archäometrie und Denkmalpflege, S. 60-63. Wien.
Vitruv 2013
Vitruv (2013). Zehn Bücher über Architektur (C. Fensterbusch, Übersetzer). Darmstadt.