2.7.1. Kohlenkalk

Der in Vichten überwiegend für die Wandverkleidung verwendete schwarze „Marmor“ ist ein fossilhaltiges, paläozoisches Kalkgestein (CaCO3), der sogenannte Kohlenkalk. Obwohl das Karbonatgestein kein Granit ist und keine Kohle enthält, wird der Naturwerkstein als „Petit Granit“, „Blaustein“ oder „Kohlenkalk“ bezeichnet. Je nach Stärke der „Assimilation von Kohlenstoffpartikel“, schwankt die Dunkelfärbung von Graublau bis Schwarz. Die Kohlenkalk-Faszien, entstanden als Schichtgestein „aus den verfestigten Ausscheidungen von Microorganismen“ in den Flachwasserfaszien () des Oberdevons (Frasnium, Famennium) beziehungsweise des Unterkarbons (Tournaisium, Viséum) und sind etwa 382,7 bis 330,9 Millionen Jahre alt. Im Erdaltertum, dem Paläozoikum, bildeten sich damals voluminöse, lakustrine Sedimentschichten aus Kalkschlammablagerungen in sauerstoffarmen Lagunen im Oberdevon oder als Karbonatschlammhügeln in sauerstoffarmen Gewässern des Unterkarbons. Als stark gefaltete Grundgebirge, treten diese heute unter anderem in den Ardennen südlich von Namur und bei Aachen zu Tage. Für dieses Gestein charakteristisch ist die Vielzahl an fossilen Einschlüssen, wie zum Beispiel: Seelilien, Moostierchen (Bryozoa), Korallen, Goniatiten, Crinoiden und Armfüßer (Brachiopoden).

In den nördlich von Vichten gelegenen Ardennen (kelt. arduenna = Hochland) wurden in den oben genannten Tälern und im Dreieck Tournai-Namur-Philippeville vielfach neue römische Lagerstätten mit dekorativen Steinsorten erschlossen. In dem großen Saal der Vichtener Villa, welche das „Musen-Mosaik“ beherbergte, wurden nicht weniger als 20 verschiedene Marmore für die Inkrustation und dem Mosaik - neben regional und überregional auch importiertes Steinmaterial - deren Herkunft zum Teil noch petrographisch und mikropaläontologisch unerforscht ist, verarbeitet (siehe Abb. 33). Als gesichert kann die Herkunft der Täfelung des Mosaikraums mit dunkelgrauen Kohlenkalk für die untere Reihe, dem „marbre noir de Namur“1 oder als dunkelgrauer Maas-Kohlenkalk aus steinverwandten römischen Steinbrüchen an der Maas, zwischen Namêche und Andenne gelegen, gelten (). Der in Vichten verarbeitete dunkelgraue viseanische (346,7 – 330,9 Millionen Jahre) Vertäfelungsmarmor ist mit augenfälligen Tafelkorallen (Siphonodendron martini) durchzogen ().

Die römischen Bauhandwerker schätzten besonders den schwarzgrauen fossilen Kohlenkalk aus den Ardennen als Naturwerkstein wegen seiner Eignung als solides Baumaterial für die Boden- und Wanddekoration. Dank einer differenzierten Oberflächenbearbeitung des aus unterschiedlichen Steinbrüchen stammenden „Marmors“ und unter anderem der hellen fossilen Einlagerungen, wie zum Beispiel Seelilien, changieren die Farbtönungen zwischen Graublau, Hellgrau und Schwarz. Des Weiteren erfreute sich der schwarze Kohlenkalk als architektonisches Material in der Wand- und Bodenausstattung von Tempeln, öffentlichen Gebäuden und Palästen, wie der buntmächtigen Aula des Trierer Kaiserpalastes unter Kaiser KONSTANTIN im frühen 4. Jahrhundert (; ). Ebenso in der Ausschmückung von Thermen und im Begräbnisritus (), aber auch als Rohstoff für den plastischen Schmuck () und vor allem in den Repräsentationsräumen der vermögenden Villenbesitzer (; ) großer Beliebtheit.

Expand Expand Abb. 33
Karte der möglichen Herkunftsorte der Marmorsorten, die im Mosaiksaal verarbeitet wurden (Quelle: MNHA/Rainier Fischer auf Grundlage von Ancient World Mapping Center (awmc.unc.edu), © 2022. Used by permission.)

Legende Abb. 33

  1. Schwarzgrauer Kohlenkalk mit fossilen Einschlüssen „Noir de Namur“ (Saint-Servais und Bouge/Namur)
  2. Schwarzblauer Kohlenkalk mit kleinen fossilen Einschlüssen (La-Roche-en-Ardenne/Ourthetal)
  3. Schwarzgrauer Sandstein „Condroz-Sandstein“ (La-Roche-en-Ardenne/Ourthetal)
  4. Schwarzer Kalkstein mit kleinen fossilen Einschlüssen, „Petit Granit“ (Theux)
  5. Schwarzer Kalkstein mit kleinen fossilen Einschlüssen, „Petit Granit“ (Bocq-, Molignéetal)
  6. Schwarzer Kalkstein, weiß geädert, Brèche du Nord (Waulsort-Yvois)
  7. Belgisch Rot, „Rouge Royal“ (Rance und Umgebung Philippeville/Hennegau)
  8. Rotweißer Korallenkalk (Rance/Hennegau)
  9. Graubeiger Kalkstein, „Gris des Ardennes“ (Dinant/Vodelée)
  10. Dunkelgrüner Diabas (Hinzenburg/Pluwig bei Trier)
  11. Hellgrauer Marmor, „Auerbach Marmor“ (Odenwald)
  12. Rotweißer Marmor (Lahn)
  13. Gelber Kalkstein (Umgebung Grand)
  14. Schwarzer Muschelkalk (Umgebung Grand)
  15. Weißbeiger lutetischer Kalkstein (Pariser Becken)
  16. Weißer Marmor, Bianco e nero antico (Umgebung Aubèrt, St. Girons/Pyrenäen)
  17. Weißer Marmor mit rotbrauner Äderung, Brèche Romain de Saint-Béat (Pyrenäen)
  18. Weißer Marmor, Blanc de Saint-Béat (Pyrenäen)
  19. Weißer Marmor mit rotbrauner Äderung, Brèche de Sarrancolin (Pyrenäen)
  20. Schwarzer Kalkstein, Noir Marquiña (Provinz Vizcaya)
  21. Grünweißer Marmor (Piemont)
  22. Weißer Marmor, Carrara (Toskana)
  23. Grüner Marmor, Verde antico, Larissa (Thessalien)
  24. Weißer Marmor mit rotbrauner Äderung, Breccia di Settebasi (Insel Skyros)
  25. Marmor mit grüner Äderung „Cippolino“ (Insel Euböa)

Das Kohlenkalk im Bau von Grabmonumenten ein durchaus beliebter Baustoff wurde, belegen zwei Beispiele aus Köln und Vichten (siehe Abb. 34 und Abb. 35). In der Grabkammer in Köln-Weiden wurde kontrastreich mit Buntmarmorplatten die Rückwände und die Liegeflächen der Kastenkline mit Aachener Kohlenkalkplatten verkleidet (). Der Weidener Familie ging es „nicht um eine extrovertierte Repräsentation von Lebensart, Bildung, Luxus oder der Quelle ihres Reichtums. Ähnlich wie in Rom und in Mittelitalien der Zeit galt ihr Hauptinteresse der domus aeterna ihrer Angehörigen. Hierzu gehörte auch die Verwendung von Buntmarmoren für die Klinen, Gesteinen, die den Hauptgebäuden einiger Villen auf dem Gebiet der CCAA zur Inkrustation genutzt worden sind“ ().

Vielleicht hatten die Angehörigen des römischen Grabmonuments in der Nolstaenstraße, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Villa westlich von Vichten gelegen, die gleichen Intentionen bei der Beschaffung einer Graburne aus Kohlenkalk (siehe Abb. 35). 1905 wurde in der Flur „Nolstaen“ bei Straßenarbeiten aus dem Sockelbereich eines Grabmonuments eine Urne von Arbeitern geborgen und 1928 vom Notar Félix Bian der „Société des Amis des Musées dans le Grand-Duché de Luxembourg“ übergeben2. Die zweiteilige Urne aus Kohlenkalk ist mit Deckel 60,2 cm (= 2 pes) hoch und misst im Durchmesser 44 cm, bei einer Wandstärke von 3,7 cm.

Expand Expand Abb. 34
Gemauerte Ruheliege in Form einer Kastenkline (lat. plutens) in einer Nische aus dem römischen Grabmonument in Köln-Weiden, Ende des 2. Jahrhundert n. Chr. (Quelle: Förderverein Römergrab Weiden e.V./U. Hermanns)
Expand Expand Abb. 35
Marmorurne aus Kohlenkalk mit Deckel, gefunden 1905 in der Flur „Nolstaen“ auf der Gemarkung Vichten (Quelle: Archiv MNHA)

Die Plattenhöhe von 2 pes (rund 60 cm) scheint in römischer Zeit ein übliches Maß gewesen zu sein. Denn neben den Marmorplatten für die Wandvertäfelung (siehe Kapitel Wandvertäfelung aus Marmor) und der Marmorurne von Vichten wurden auch in der römischen Basilika von Trier (um 310 n. Chr.) Täfelungen () mit dieser Höhe und in den Barbarathermen (2. Hälfte 2. Jahrhundert bis Anfang 5. Jahrhundert n. Chr.) Bodenplatten aus weißem Kalkstein mit den Massen 120 cm x 60 cm verlegt (). Aus den Schuttschichten des Kellers der gallo-römischen Villa von Merbes-le-Château (Provinz Hainaut) geborgenen roten Marmorplatten, dem „Marbre de Rance“ (Provinz Hennegau), mit einer maximalen Länge von 89 cm, einer Breite/Höhe von 59 cm (2 pes) und einer Dicke von 3 cm, belegen die oben gemachten Beobachtungen ().

Die gemeinsamen Höhenmaße der schwarzen und roten Marmorplatten und der Marmorurne von rund 60 cm verleiten zu der Annahme, dass beide aus gleich groß formatierten Marmorblöcken herausgeschnitten sein könnten. Bei dieser Annahme betrüge die Tiefe des Blocks, anhand des Durchmessers der Urne, nicht weniger als 44 cm. Ausgehend von der Stärke der Marmorplatten von 25 mm bis 48 mm, lag bei einem Verlust von etwa 5 mm Sägeabfall () die Ausbeute bei 10 Platten aus einem Marmorblock. Der lästige und gewichtssteigernde Steinabschlag und -schnitt blieb vor Ort und fand anderweitig, zum Beispiel im Straßenbau, als Spielsteine für den Spieltisch () und anderweitig Verwendung. Die Steinsägen () waren mit Wasser betrieben und als Schneidemittel diente feiner nasser Sand ()3.


  1. Am 09. Dezember 2020 beantwortete der Geologe Eric Groessen schriftlich die Anfrage nach der Probenentnahme des Vichtener Kohlenkalks vom 10. Juli 1998: « Je me souviens que je n’ai pas pu en retirer des résultats à l’exeption des fragments noirs qui entourent les mosaïques et qui sont en marbre noir de Namur (c’était déjà le cas à Echternach). Ces marbres noirs, sont des calcaires carbonifères d’âge Viséen, déposés en mer il y a environ 330 millions d’années et contenant des microfoissiles (fomaminifères) ce qui permet de les identifier. Ils furent intensément exploité par les romains et on a retrouver, entre autres des autels dédiés à la déesse Dealenia en mer en Zeelande. » ↩︎

  2. Société des Amis des Musées dans le Grand-Duché de Luxembourg. Annuaire 1928. S. 10: « De la part de M. Félix Bian, notaire à Rédange s/Attert, le Comité a reçu une magnifique urne romaine en marbre, trouvée en 1905 à Vichten. » ↩︎

  3. . Zweites Buch. Siebtes Kapitel. Von den Steinbrüchen. 1. „Es gibt aber auch mehrere andere Arten, z.B. in Campanien Arten von rotem und schwarzem Tuff“ (Anm. d. V.: vergleichbar dem Tuff aus der Eifel) „in Umbrien, Picenum und Venetien weißen, der sich auch mit einer Säge wie Holz schneiden lässt“. ↩︎

Bibliografie

Breitner 2014
Breitner, G. (2014). Die Skulpturenausstattung einer römischen Stadt am Beispiel von Trier. In Ein Traum von Rom: Stadtleben im römischen Deutschland, S. 124-133. [Ausstellungskatalog]. Darmstadt.
Dodt 2014
Dodt, M. (2014). Marmorluxus in den großen römischen Thermen der Stadt Trier. In Funde und Ausgrabungen im Bezirk Trier, 46, S. 52-67. Trier.
Dreesen et al. 2018
Dreesen, R., De Ceukelaire, M., & Ruppienné, V. (2018). On the roman use of ‘Belgian marbles’ in the Civitas Tungrorum. In Études et documents archéologie, 38, S. 25-50. Namur.
Dumont et al. 2018
Dumont, G., Authom, N., & Paridaens, N. (2018). The ornamental stones of the ‘Champ de Saint-Éloi Villa’ in Merbes-le-Château (Province of Hainaut, Belgium). In Études et documents archéologie, 38, S. 262-268. Namur.
Edelmann 2003
Edelmann, J. (2003). Geologische Erscheinungen entdecken und verstehen. Bielefeld.
Fischer 1997
Fischer, G. (1997). Antiker Marmorluxus von Rom bis zum Rhein. In Funde, Fotos, Modelle. Führer und Schriften des Regionalmusems Xanten, 44. Köln.
Furger 1989
Furger, A. (1989). Römermuseum und Römerhaus Augst, Kurztexte und Hintergrundinformationen. In Augster Museumshefte, 10. Augst.
Goethert & Kiessel 2007
Goethert, K.-P., & Kiessel, M. (2007). Trier - Residenz in der Spätantike. In D. Alexander, E. Josef (Eds.), Konstantin der Große, S. 305-312. [Ausstellungskatalog], S. 316. Trier und Mainz.
Ladner 1864
Ladner, M. J. (1864). Der hiesigen römischen Baudenkmäler Schicksale im Mittelalter und in neuerer Zeit; b: Schicksale der Basilika. Jahresbericht der Gesellschaft für Nützliche Forschung zu Trier 1861/62. Trier.
Metzler et al. 1981
Metzler, J., Zimmer, J., & Bakker, L. (1981). Ausgrabungen in Echternach. Luxemburg.
Mielsch 1985
Mielsch, H. (1985). Buntmarmore aus Rom im Antikenmuseum Berlin. Berlin.
Neuburger 1987
Neuburger, A. (1987). Die Technik des Altertums. Leipzig.
Noelke 2008a
Noelke, P. (2008). Das Römergrab in Köln-Weiden und die Grabkammern in den germanischen Provinzen. In Kölner Jahrbuch Vor- und Frühgeschichte, 41, S. 437-511. Berlin.
Ruppiené 2015
Ruppiené, V. (2015). Natursteinverkleidungen in den Bauten der Colonia Ulpia Traiana, Gesteinskundliche Analyse, Herkunftsbestimmung und Rekonstruktion. In M. Müller (Ed.), Xantener Berichte, 28. Xanten.
Ruppiené 2020
Ruppiené, V. (2020, Januar 31). Das römische Riesen-Puzzle ist gelöst. In Trierischer Volksfreund, S. 22. Trier.
Vitruv 2013
Vitruv (2013). Zehn Bücher über Architektur (C. Fensterbusch, Übersetzer). Darmstadt.