3.3. Römischer Bettungsmörtel - Substruktion

Schon Beobachtungen während der Bergungsarbeiten ließen auf diverse Herstellungs- und Verlegungstechniken schließen, die nun bei genauerer Betrachtung der Mosaikrückseiten und der freigelegten Oberfläche der Bettung, die Angaben VITRUV‘s zur Substruktion bestätigten (siehe Abb. 79): „Der Überzug für die Bettung: wird die Estrichmasse“ - der rudus - „neu zubereitet, soll zu drei Teilen ein Teil Kalk zugemischt werden, […] Dann soll die Estrichmasse aufgelegt und von 10 Mann mit hölzernen Stempeln durch häufiges Stampfen festgemacht werden, und die fertig gestampfte Masse soll nicht weniger als ¾ Fuß“ - ca. 22 cm – „dick sein. Darüber soll eine feste Schicht“ - der nucleus - „aus gestoßenen Tonscherben gelegt werden, die aus drei Teilen Tonscherben und einem Teil Kalk gemischt ist, so dick, dass der Estrich nicht weniger als 6 Zoll“ - ca. 11 cm – „dick ist. Über die Deckschicht“ - den nucleus testa - „sollen nach Schnur und Wasserwaage die Fußböden gelegt werden, aus verschiedenartig zugeschnittenen Platten oder Mosaik hergestellt dem Bodenmosaik“ ().

Zuerst wurde die trennende Mauer zwischen den ungleich großen Räumen niedergelegt und entsprechend VITRUV’s Vorgaben der Boden planiert und mit großer Sorgfalt festgestampft (lat. solidum) um die Druckbelastung durch den Estrich und das Mosaik zu verteilen und Rissbildungen zu minimieren.

Expand Expand Abb. 79
Händische Skizze von der Bergung des Vichtener Mosaiks mit dem Schichtenunterbau - pavimenta tesseri (Quelle: MNHA/Rainier Fischer, 2022)

Legende Abb. 79

  1. Festgestampfter Boden solidum
  2. Festgestampfte Steinschicht statumen
  3. Grobkörnige Kalkmörtelschicht mit Ziegelschrot und Kieseln rudus = untere Bettungsschicht
  4. a) Feinkörniger Mörtel aus Kalk und zerstoßenen Ton- und Ziegelstückchen nucleus = obere Bettungsschicht; b) Ausgleichsschicht aus Kalkbrei nucleus testa = Kitt als Klebemörtel
  5. Mosaiksteinchen tessellae oder tesserae

Erst jetzt folgte der eigentliche nivellierte Unterbau für das Bodenmosaik, beginnend mit der untersten Schicht, dem statumen aus groben Steinsplitt oder Kiessteinen. Hierauf folgte in Vichten der exakt nivellierte, grobkörnige Kalkmörtel der unteren Bettungsschicht, dem rudus. Unter der feinkörnigen Ausgleichsschicht (0,2 cm bis 1,5 cm), dem nucleus testa, lag die grob nivellierte Ziegelsplitt-Bettungsschicht (2,5 cm bis 4,5 cm), der nucleus (siehe Abb. 80). Dies geschah mit großer Sorgfalt, damit das Mosaik als begehbare Schmuckfläche überhaupt funktionieren kann.

Expand Expand Abb. 80
Schnitt durch den römischen Bettungsmörtel vom „Musen-Mosaik“ aus Vichten (Quelle: MNHA/Tom Lucas & Ben Muller, 2020)

Der Befund in Vichten bestätigte die überlieferte Vorgehensweise im Aufbau, wobei die Schichtdicke erheblich variierte und dem unebenen Untergrund angepasst wurde. Mehrere Mörtelbeprobungen durch das Labor der Administration des ponts et chausées in Luxemburg, die die Druckfestigkeit des römischen Betons durchführte, entsprachen den bekannten Untersuchungen an Estrichproben im weströmischen Reich ().

So variierte die Dicke des Bettungsaufbaus zwischen 5 cm und 15 Zentimetern und betrug beispielsweise im Bereich der niedergelegten Trennmauer nur 5 cm bis 6 cm (siehe Abb. 81 und Abb. 82). Anscheinend waren die antiken Handwerker von der Stabilität des Mauerstumpfes dermaßen überzeugt - und um sich unnötige Arbeit und Material zu ersparen - dass nur so viel Mauersteine entfernt wurden wie nötig. 1750 Jahre später zeigte sich jedoch der Verlauf der ehemaligen Trennmauer in Form von zwei Setzfugen.

Der enorme Druck, der sich über die Jahrhunderte aufbaute - verursacht durch Trümmer und eingeschwemmte Erde - führte beidseitig der Mauerkante und der Tunnelung zu Deformationen und Senkungen des Mosaiks. Das Mosaik veränderte sich an manchen Stellen so stark, dass die Dehnungen bei der späteren Restaurierung nicht rückgängig gemacht werden konnten. Besonders auffällig war dies im hinteren Teil, des optisch abgetrennten Speisebereichs. Hier wurde nicht mit der notwendigen Sorgfalt die Mosaikfundierung ausgeführt, was auf die ehemalige untergeordnete Raumnutzung als Nebenzimmer zurückzuführen ist. Allem Anschein nach war im vorderen Raum, bedingt durch die vorherige Wohnsituation, der Fußboden hochwertig ausgestattet und der Untergrund gewissenhafter verdichtet worden.

Expand Expand Abb. 81
Die Konturen, links und rechts der niedergelegten Trennmauer im Zentralraum, zeichnen sich im Mosaik ab, Feld V, Blickrichtung nach Osten (Quelle: MNHA/Rainier Fischer, 1995)
Expand Expand Abb. 82
Gelöstes Mosaikfeld umgelegt. Klassischer VITRUV’scher Aufbau: statumen, rudus, nucleus und nucleus testa, Feld V, Blickrichtung nach Westen (Quelle: MNHA/Rainier Fischer, 1995)

Weitere Überraschungen hielten die grob gereinigten Rückseiten des Bodenmosaiks bereit. Vor allem half der feine, über Jahrhunderte eingeschlämmte Tonschlicker, die Verlegetechnik der antiken Mosaizisten besser zu verstehen (siehe Abb. 83 und Abb. 84).

Die im Durchmesser etwa 80 cm großen Einsatzmosaike des Mosaikfeldes XIV heben sich farbig durch den hellen Kalkschlicker von der Umgebung ab. Ursächlich durchdrang der durchgesickerte Tonschlicker intensiver den weniger qualitätvolleren Umgebungsbettungsmörtel und konturierte dadurch das Einsatzfeld und das umlaufende Mäanderband. AERATO’s dezentrierter kreisförmiger Einschub (gelb markiert) bildete nur die Figur und nicht die Namensbeischrift ab (rot markiert). Ausgehend vom vorfabrizierten Emblema, vorausgesetzt der Konturrahmen war positioniert, wurde der restliche Grund mit hellen Steinchen und der Namensbeischrift gefüllt.

Ganz anders wurde beim Verlegen des Emblema der benachbarten Muse TERPSICHORE vorgegangen. Dadurch, dass das Einschubmosaik wesentlich größer war als das der AERATO, füllte es zum einen das Medaillon aus und führte zum anderen zur Beschneidung im Bereich der Namensbeischrift.

Expand Expand Abb. 83
Mosaikrückseite mit den Medaillons der Musen AERATO (rechts) und TERPSICHORE (links), Feld XIV. (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Landesmuseum Trier, 1995)
Expand Expand Abb. 84
Restauriertes Mosaikteil mit den Musen AERATO und TERPSICHORE, Feld XIV. (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Christof Weber, 2002)

In der spätrepublikanischen Villa (30 v. Chr.) von Francolise (Prov. Caserta/Kampanien) wurde in Raum 12 ein bemerkenswerter Fund gemacht. Die Verlegetechnik des Einschubmosaiks entspricht dem Befund am „Musen-Mosaik“ von Vichten. Mehrere Hexagone, in einer Linie angeordnet, zeigen die kreisrunden vorgefertigten Mosaikeinsätze noch in situ ().

Nachdem der Unterbau, bestehend aus festgestampfter Steinschicht und Kalkmörtelestrich, für das zu legende Bodenmosaik äußerst gewissenhaft und stabil vorbereitet wurde, musste in einem ausgefeilten System mit unterschiedlichen Arbeitsschritten und -techniken das Mosaik verlegt werden. Hierzu mahnt VITRUV: „Bei einer zweckmäßigen Konstruktion sind die Räume fehlerfrei und ohne Behinderung für die Benutzung angeordnet“ (). Damit ist nicht nur der äußere Eindruck einer römischen Villa, sondern auch die Qualität in Ausführung der Inneneinrichtung gemeint. Ohne einen perfekt nivellierten Estrich wird das Bodenmosaik zur Stolperfalle. Dass dies nicht so einfach zu bewerkstelligen war, zeigt die große Differenz von 0,2 cm bis 3,5 cm Dicke des feinen Kalkbreis auf kurzen Distanzen, in den die Marmorwürfelchen eingedrückt wurden. Hier wird die doppelte Funktion des dünnen Kalkbreis deutlich: Einmal als Klebemasse zwischen dem Estrich und den tessellae und gleichzeitig als nivellierendes Element für die Begehbarkeit der Oberfläche.

Wie ein aufgeschlagenes Buch lesen sich die Rückseiten des Doppelmedaillons der Musen AERATO und TERPSICHORE. Dank der ablesbaren Tonschlickerkonturierung könnte die Chronologie der Arbeitsschritte so ausgesehen haben:

  1. Das Setzen der hölzernen (?) Konturrahmen als Achteck auf dem rudus.
  2. Das nivellierte Auffüllen mit nucleus.
  3. Das Zentrieren und Beschneiden der im Durchmesser ca. 80 cm kreisrunden oder ovalen vorfabrizierten Figuren-emblema, das sogenannte Einschubmosaik – fixiert mit feinem, hellem und qualitätsvollem rudus testa, mit feinstem Ziegelsplitt gemagert – auf dem feuchten nucleus.
  4. Das Setzen der Namensbeischriften.
  5. Das fächerförmige Auffüllen der Freiflächen zwischen dem Emblema und dem Konturrahmen.
  6. Das Setzen der mehrteiligen Rahmenleiste: Mäanderband und Zahnschnittleiste.
  7. Entfernen des Konturrahmens und Schließen der Konturrahmenlücke mit einer Reihe weißer Steinchen.

Dass der rudus und nucleus nicht so glatt abgezogen werde konnten wie gewünscht, lag jedoch an der Komplexität der Verlegetechnik der tessellae und dem individuellen Geschick des Mosaizisten an sich. Um den Steinteppich gleichmäßig über die Fläche auszubreiten - unter der Berücksichtigung der Zentrierung, der Ausrichtung der Muster und Medaillons im Raum - konnte der Estrich nicht als Ganzes angelegt, sondern es wurde, progressiv in Etappen und Abschnitten gearbeitet. Der feine Kalkbrei musste auch die Unebenheiten, die aus einer mangelhaften Vorarbeit resultierten, ausgleichen.

Wahrscheinlich wurde der nucleus erst nach der vollständigen Durchtrocknung beziehungsweise Aushärtung des rudus aufgetragen (). Beim Loslösen der formatierten Mosaikfelder lösten sich die Mosaikstücke immer an der Fuge zwischen den beiden Estrichschichten.

Bibliografie

Dunbabin 1999
Dunbabin, K. (1999). Mosaics of the Greek and Roman world. Cambridge.
Lamprecht 1996
Lamprecht, H.-O. (1996). Opus caementitium. Bautechnik der Römer. Köln.
Vitruv 2013
Vitruv (2013). Zehn Bücher über Architektur (C. Fensterbusch, Übersetzer). Darmstadt.
Gonzenbach 1961
von Gonzenbach, V. (1961), Die Römischen Mosaiken der Schweiz. Basel.