4.2.7. Monochromer Grund

Das Medaillon der Muse Urania weist eine Besonderheit auf, an welche die anderen Medaillons nur ansatzweise heranreichen: Der sehr sorgfältig fächerförmig verlegte monochrome Grund (siehe Abb. 135) erinnert in seiner Segmentierung dem Schema der Windströmungen nach VITRUV (siehe Abb. 166). Hingegen ist die Muse Thalia mit einem vielfältig geometrisch angelegten hellen Grund - durch die wahllosen Richtungsänderungen - nicht so ruhig und ausgewogen umspielt. Jedoch sticht dieses Medaillon durch eine gelungene Ausführung der 2-reihigen Konturbegleitlinie hervor (siehe Abb. 136).

Der weiße Grund, der unter anderem die Medaillons der Thalia und Melpomene umfließt, entspricht nicht bei der Zweitgenannten (siehe Abb. 139) diesem Ordnungsprinzip. Normalerweise folgen zur Konturierung zwei, bisweilen auch drei oder nur eine Reihe weißer Steine der Figur als imaginäre Schatten. Der optische Effekt der Konturlinien macht die Figuren lebendiger und sie treten aus dem hellen Grund hervor. Aufgrund der unterschiedlichen Arbeitsweisen entsteht der Eindruck, dass die beiden Figuren von unterschiedlichen Mosaizisten ausgeführt wurden. Den detailreichen Figurinen steht ein uneinheitlich und unruhig wirkender Grund entgegen. Anstatt der gleichmäßigen Konturierung, wirkt vor allem die Muse Melpomene als Block in einem Grund, der bis zum Rand hin uneinheitlich aufgefüllt ist. Im Umhang unten rechts findet sich nur eine Reihe der Kontursteinchen und teilweise gar keine im Bereich des Schattens. Auch die Schnittstellen in den Ecken fallen unterschiedlich aus. Mal wird der Übergang berücksichtigt, mal laufen die Steinreihen parallel, im Ansatz fächerförmig weiter bis zur nächsten Schräge. Allem Anschein nach geschah das Schließen des hellen Grundes nicht systematisch, sondern eher pragmatisch und zufällig.

Expand Expand Abb. 135
Idealfächerförmig angelegter Grund im Medaillon der sitzenden Muse Urania mit Zeigestab und Sphäre, Ausschnitt aus Feld XI (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Christof Weber, 2002)
Expand Expand Abb. 136
Wilder Segmentverband im Medaillon der Muse Thalia mit tragischer Maske, Ausschnitt aus Feld XIX (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Christof Weber, 2002)

Gleich Piktogrammen1 sollen die Dargestellten vom redundanten Grund losgelöst auf den Betrachter wirken. Hierzu muss dieser optisch verschwinden. Der Effekt beruht auf dem Verschmelzen der unzähligen Steinkuben, die das Muster und den Grund bilden. Ist das Auge weit genug von dem Mosaik entfernt, sieht es eine monochrome Fläche, die unsichtbar in den Hintergrund tritt. Die in Vichten arbeitende Werkstatt beherrschte diese anspruchsvolle Setztechnik, die den Grund zu einem ruhigen gleichförmigen Erscheinen veredelt. Nachdem die Figur der Urania mit zwei – und dreireihigen weißen Konturen eingefasst war, begann der Mosaizist von den Ecken ausgehend - beginnend in der Diagonalachse der Muse - das Oktogon zum Zentrum hin, Segment für Segment zu füllen. Nur im Bereich des linken Arms und des Sitzmöbels entschied sich ein zweiter Mosaizist für einen kleinen und unscheinbaren Richtungswechsel mit 3-reihiger Konturbegleitlinie. Offensichtlich hatte das handwerkliche Niveau der zweiten, helfenden Hand, noch nicht das der ersten erreicht. Zu Unrecht wird diese Technik als mehr oder weniger mechanisch abgewertet, denn sie verlangt von dem Mosaizisten neben einem guten Auge für gerade und regelmäßige Linien, auch ein Gefühl für die Linienführung im Bezug zur segmentierten Fläche. Diese wirkungsvolle und komplizierte Arbeitsweise hat wohl ihren Anfang in Pompeji und ist bis ins 4. - 6. Jahrhundert vor allem in Nordafrika und Spanien beliebt.

Offensichtlich wurden die neun Bildhintergründe, hier genannt Grund, der Medaillons von unterschiedlichen Händen angelegt, woran die Qualität und Sorgfalt der Setztechnik keine Zweifel lässt. Anscheinend modellierten drei Mosaizisten die unterschiedlich ausgeführten Segmente der hellen Gründe sozusagen als individuelle Handschrift, soweit die strenge Musterordnung in den rein geometrischen Partien dies zulässt (siehe Abb. 137). Der meist fächerförmig angelegte weiße Hintergrund wirkt ruhig, ausgewogen und bildet den isolierten Mal-Grund für die, dadurch wie ein Piktogramm wirkende, Dargestellte. Es sind Gesetzmäßigkeiten, wie zum Beispiel das Schließen der Flächen in Segmenten, die dem Zentrum zustreben und dem Ganzen ein harmonisches Bild erlauben.

Expand Expand Abb. 137a
Handschrift 1
Expand Expand Abb. 137b
Handschrift 2
Expand Expand Abb. 137c
Handschrift 2
Expand Expand Abb. 137d
Handschrift 2
Expand Expand Abb. 137e
Handschrift 3
Expand Expand Abb. 137f
Handschrift 3
Expand Expand Abb. 137g
Handschrift 1
Expand Expand Abb. 137h
Handschrift 1
Expand Expand Abb. 137i
Handschrift 1
(Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Christof Weber, 2002)

Legende Abb. 137

Drei unterschiedliche Handschriften der Konturbegleitlinien- und Hintergrundflächen der Medaillons (Ausschnitt aus Feld XI, XIV, XVI und XIX). Medaillons mit ähnlichen Segmenthintergründen liegen im Hauptfeld nebeneinander:

  • Handschrift 1: Homer und Kalliope, Melpomene, Terpsichore, Erato
  • Handschrift 2: Polyhymnia, Urania, Klio
  • Handschrift 3: Euterpe, Thalia

Alle Gründe zeichnen sich durch eine gleichmäßig zusammenhängende Reihung der weißen Steine mit parallel verlaufender Fugenteilung aus. An der Ausführung des Fugenverlaufs jedoch treten deutlich Unterschiede auf, die das erlernte Handwerk unterschiedlich interpretierten. Dank der gekonnt beherrschten Technik spielten die Mosaizisten bewusst mit geometrischen Mustern beim Befüllen des Grundes. Erst beim zweiten genaueren Hinsehen fallen diese abrupten horizontalen und vertikalen Richtungswechsel der Steinreihen auf. Der nahezu perfekt fächerförmig angelegte Grund der Muse Urania mit üppigem Einsatz von blauen Mosaiksteinen und zwei- sowie dreireihigen Konturbegleitlinien der Musen-Medaillons von Polyhymnia und Klio bilden hier die Ausnahme.


  1. Bei einem Piktogramm, dem „geschriebenen Bild“, wird die Bildinformation grafisch auf ein einfaches Symbol oder Darstellung reduziert. ↩︎