4.4.3. Hauptfeld = Überteppich

Die Zentralkomposition setzt sich aus dem, in einer quadratischen Fläche zentralsymmetrisch angeordnetem Hauptmotiv sowie umgebenden, untergeordneten Einzelfeldern zusammen. Diese sind konzentrisch angeordnet und parataktisch gruppiert. Dem mythologischen Thema entsprechend variierte die Anzahl der Felder - durch Figurenfüllung herausgehoben. Beispielsweise wurden für den Medaillonrapport des „Musen-Mosaiks“ acht Oktogone, die gleich Fensteröffnungen durch den dichten Ornamentteppich durchbrechen, benötigt. Diese haben zusätzlich, wie auch vier eckständige Zwickelfenster, einen mehrteiligen inneren Rahmen. Entsprechend der Motivwahl konnten die Felder mit Motiven oder Figuren unterschiedlichster Art gefüllt werden. Sie standen dem Thema des Zentralmotivs, hier den Dichterfürst Homer darstellend, unterstützend zur Seite.

Der Hauptfeldrahmen, ein mächtiges viersträhniges Flechtband auf schwarzem Grund, umfasst das quadratische Hauptfeld. Hier wechseln sich die bekannten Farbfolgen in zwei Varianten in Grün- und Rottönen in einer Endlosschleife ab: den Rand bildend Schwarz, Weiß, helles Violett, Rot, Schwarz oder Schwarz, Weiß, Hellgrün/Beige, Olivgrün, Schwarz, jeweils um das weiße Auge gespiegelt. In dem quadratischen Hauptfeld ordnen sich acht gleichschenklige Achteck ringförmig zu einem großen Achteck, in dessen Zentrum das Zentraloktogon ruht. Das Kompositionsschema basiert auf der sehr beliebten und häufig verwendeten geometrischen Konstruktion in römischen Mosaiken: ein gleichschenkliges Achteck, gebildet aus zwei verschränkten Flechtbandquadraten, eingeschrieben in einem Quadrat (siehe Abb. 162 und Abb. 163).

Expand Expand Abb. 162
Gliederungsschema des Mittelfeldes, Feld X bis XX (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Christof Weber, 2002)

Legende Abb. 162:

  • Rot = Eingeschriebenes Quadrat groß
  • Orange = Eingeschriebenes Quadrat klein (Zentralmotiv)
  • Blau = Eingeschriebenes Oktogon groß
  • Hellviolett = Kreisförmig angeordnete Musenoktogone
  • Violett = Eingeschriebenes Oktogon (Zentralmotiv)
  • Grau = Verschränkte Quadrate (Achteckstern)
  • Gelb = Zwickel im Quadratwinkel
Expand Expand Abb. 163
Identische Gliederung des „Bacchus-Mosaiks“ von einer villa rustica aus Tockington Park (GB), Raum XII (Quelle: T.B.G.A.S. XII, Pl. VII, County of Gloucestershire, Smith, 1980)

Das komplexe zentrierte Kompositionsschema, konstruiert aus einem Quadrat und Kreis, wird durch ein kontinuierliches, miteinander verschlungenes, in den Farben changierendes zweisträhniges Flechtband auf schwarzem Grund gegliedert (siehe Abb. 164). Dort wo das Zweistrangflechtband sich berührt und nicht ineinandergefügt ist, bilden sich das große Achteck und der Achteckstern. Die Farbfolge des Flechtbandes ist abwechselnd abschattiert.

Expand Expand Abb. 164
Entwicklung des rein geometrischen Kompositionsschemas aus einem Quadrat (Quelle: MNHA/Rainier Fischer, 2022)

Eher eine Wabenstruktur imitierend blickt uns ein zentriertes Kompositionsschema, bestehend aus vier gleichgroßen Quadraten, in die in zwei Quadrate sieben gleichgroßen Sechsecken eingeschrieben sind, auf einem Schwarz-Weiß-Mosaik aus einem Nebenraum (lat. ala) eines römischen Stadthauses aus Pompeji entgegen (). Das 2000 Jahre alte Mosaik ist unterteilt in einen Haupt- und Nebenteppich und schließt direkt an den Gang (lat. cubicolo) an. Das spielerische Element, aus verschieden großen geometrischen Formen Motive bildend, ist anscheinend noch nicht weit verbreitet und erst am Anfang einer Entwicklung, die im Vichtener Mosaik mündet.

Erwähnenswert ist die gewollte Verschränkung zweier Quadrate zu einem Achteckstern durch das Flechtband, die uns sonst als eigenständiges Motiv auf römischen Mosaiken „in verschiedenen Varianten zunehmend seit dem späten 2. Jahrhundert“ begegnet (). Aus Trier und Umgebung sind mehrere Mosaikbeispiele mit verschränkten Quadraten bekannt, die alle in das 3. oder 4. Jahrhundert datieren: Weberbach, Mosaik mit Bildfeld - „Polydus-Mosaik“, um die Mitte des 3. Jahrhunderts (siehe Abb. 179); Neustraße, Ornamentales Muster mit Bildfelder - „Siemens-Mosaik“ 2. Viertel des 3. Jahrhunderts (siehe Abb. 165); Basilika, Ornamentales Muster, um die Mitte des 4. Jahrhunderts () und Mehring, Mosaikfragmente um 300 n. Chr. ().

Expand Expand Abb. 165
Trier (D), 97 Neustraße, Ornamentales Muster mit Bildfeldern („Siemens-Mosaik“) - Achteckstern (Quelle: Rheinisches Landesmuseum Trier)

Zwangsläufig ermöglicht die kreisförmige Anordnung der acht Achtecke eine Freifläche, die einen Achteckstern entstehen lassen. Der in gleicher Manier aus zwei verschränkten Quadraten, jeweils aus einem roten und grünen abschattierten zweisträhnigen Flechtband, gebildet wurde. Der irreführende Begriff „Davidstern“ wird hier nicht verwendet, da dieser normalerweise aus zwei ineinander gestellten Dreiecken gebildet wird. Die beiden um 45 Grad gedrehten Quadrate rasten mit ihren Ecken in den Dreiecksfeldern ein. Diese Freifläche wird aus den abgeschrägten Seiten der sich berührenden Achtecken und dem Zentralmedaillon gebildet.

Die Zahl acht (siehe Abb. 166) ist hier insofern von Bedeutung, da sie das Gleichgewicht im Kosmos repräsentiert und ein Synonym für das achteckige und -seitige Oktogon (lat. octogonum) ist. Einer der fünf platonischen Körper ist das Oktaeder (Polyeder). Und der Würfel mit seinen acht Ecken steht in der pythagoreischen Geometrie wegen der sechs Seiten für die Vollkommenheit. Acht Windströmungen nennt VITRUV für seine Windrose: Septentrio (N), Aquilo (NO), Solanus (O), Eurus (SO), Auster (S), Africus (SW), Favonius (W) und Caurus (NW) ().

Expand Expand Abb. 166
„Achteck-Schema“ der Windströmungen (Quelle: MNHA/Rainier Fischer auf Grundlage von VITRUV)

Aus acht gleichschenkligen Dreiecken resultierte das achteckige Zentralmotiv, als negativer Abdruck des Schlüsselornaments, dem großen Achteck. Die Sichtachse hin zum Hauptmedaillon war nicht, wie zu erwarten, vom Eingang ausgerichtet, sondern vom Standort der Speiseecke, denn die figürliche Ausrichtung nahm Bezug auf, auf den Klinen ruhenden Betrachtern. Dem großen Achteck ist nochmals ein kleineres Achteck als dominantes Zentralmotiv eingeschrieben und wird zur Betonung von einem inneren vierteiligen Rahmen aus dreisträhnigem Flechtband auf schwarzem Grund, doppelter Rahmenleiste aus abgetreppten Dreiecken und einfacher Leiste umfangen. Im Flechtband begegnen oder überschneiden sich die beiden abschattierten Farbreihenfolgen in alternierender Weise. Die Farbfolge ist abwechselnd entweder: den Rand bildend Schwarz, Weiß, helles Violett, Rot, Schwarz oder Schwarz, Weiß, Hellgrün/Beige, Olivgrün, Schwarz, jeweils um das weiße Auge gespiegelt. Beidseitig begleitet ein Band von abgetreppten gegenständigen Dreiecken das Flechtband und unterstreicht dessen Bedeutung. Die Spitzen der schwarzen Dreiecke sind zum Flechtband und nicht wie sonst üblich zum Zentrum gerichtet. Das gleiche Gliederungsschema mit nach innen gerichtetem beidseitigem Rahmenband als Rahmung der Oktogone ist auf dem famosen römischen „Gladiatoren-Mosaik“ () von Nennig (Kreis Merzig-Wadern) ausgeführt. Der um 230 n. Chr. bis 240 n. Chr. zu datierende Mosaikteppich, zieren zwei Zahnschnittleisten als Rahmenband. Zuletzt hebt ein dünnes Band aus zwei Reihen schwarzer Steine, eine Rahmenleiste bildend, das Figurenensemble hervor.

Die kleineren Figurenachtecke, die ringförmig das Hauptmedaillon umschließen, haben zusätzlich einen zweifachen inneren Rahmen, der aus einer Zahnschnittleiste und alternierend einem Band aus Mäanderhaken oder Zinnenmäander besteht. Sechzehn eingeschaltete Dreiecksfelder, resultierend aus den Freiflächen der abgeschrägten Seiten der Achtecke, sind gefüllt von einem spitzständigen weißen Dreieck auf schwarzem Grund und inwärts gerichtetem Zahnschnittbad gerahmt. An den vier Ecken sind jeweils Zwickel, flankiert von zwei kleineren Dreiecksfeldern. Da die Dreiecksfreiflächen kleiner ausfallen fehlt das Zahnschnittband um die spitzständigen weißen untergeordneten Dreiecke.

Die in die Diagonalachse eingefügten eckständigen Zwickel sind doppelt gerahmt. Hier, wie im Zentralmedaillon, mit einem breiten Linienrahmen zu dem inwärts gerichteten Zahnschnittband auf dünner Leiste. Das Quadrat ist durch das Flechtband unterschiedlich groß zweigeteilt und bildet jeweils ein sich gegenüberliegendes, identisches, vom Naturvorbild stark stilisiertes zweidimensionales Motivpaar: ein Paar des Kompositmotivs wird von einer länglichen Knospe eines Spiralpaares, aus der zwei Hüllblätter1 erwachsen, vier Peltenblüten2, davon zwei mit einer länglichen Knospe gebildet, zwei flachen Lotusblüten mit länglichen Knospen und Ranken (siehe Abb. 167a und Abb. 167b).

Auffällig sind die Hüllkörper, mit Glanzlichtlinien gezeichnet, die diesen Dreidimensionalität verleihen. Der stilsichere lineare Aufbau des Motivs, hervorgehoben durch die schwarze Konturierung, entwickelt sich aus den Peltenblüten und nicht, wie sonst üblich, aus einem Trink- oder Mischgefäß. Die diagonal zum Zentrum gerichtete Rosette mit Doppelvoluten wird von zwei Hüllblättern flankiert und mit einer länglichen Knospe verziert. Das gleiche Gliederungsschema mit nach innen gerichtetem beidseitigem Rahmenband als Rahmung der Oktogone ist auch vom römischen „Gladiatoren-Mosaik“ aus Nennig bekannt () - hier mit zwei Zahnschnittleisten. Ihr Stängel wächst in den ihr gegenüberliegenden optischen Schwerpunkt der Komposition in eine Peltenblüte hinein. Eine andere, aber plumpe Variante der Blüte mit Blattspitze zwischen der Doppelvolute auf dem Mosaik aus der Trierer Feldstraße (um die Mitte des 2. Jahrhunderts) ist eine Zwischenstufe der sogenannten „style fleuri“ Blüten aus Italien (). Die Hüllblätter und Peltenvoluten der Ranke vom Trierer „Monnus- Mosaik“ und Bad-Kreuznacher „Gladiatoren-Mosaik“ sind Motivgleich mit unserem Mosaik ().

Bei einem Motiv erweitert sich die Spitze des Spiralpaarstängels V-förmig in die Blüte, bestehend aus zwei gegenständigen Peltenblüten, hinein (siehe Abb. 167a, rechtes Motiv). Bei der zweiten Blüte (siehe Abb. 167b) verjüngt sich die Spitze in die Blüte hinein. Diese, in Ranken endend, sind durch zwei Lotusblüten verbunden. Alle Motive berühren sich zu einem harmonischen Ganzen.

Kompositmotiv mit Peltenblüten in Herzform, Lotus- und Hüllblüten, Feld XII und XVIII (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Christof Weber, 2002)
Eckzwieckel, gefüllt mit Glockenkraterunterteil und Hüllblätterhenkel, zwei Handschriften erkennbar, Feld X und XX (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Christof Weber, 2002)

Das zweite, nicht so homogene Kompositpaar, bilden jeweils eine Peltenblüte, sowie ein Glockenkraterunterteil mit Spiralen und Hüllblättern (siehe Abb. 168a und Abb. 168b). Bei diesem Paar erwächst disproportional aus dem hohen geriffelten Leib mittig, den Hals imitierend, die Peltenblüte in Form einer Doppelvolute. Dieses Spiralpaar wird beidseitig von zwei knospenführenden Hüllblättern kreisförmig begleitet. In ebenso abstrakter Manier erwachsen aus dem Kraterbauchrand seitlich zwei Hüllblätter heraus, die den Platz der Griffe in Manier eines Doppelhenkelkraters einnehmen. Aus dessen Knospe ringeln sich eine weitere Hüllblüte mit roter Ranke und ein Seitentrieb mit Knospe in lockerer Windung in die ausgesparten Zwickel. Der Kegelfuß ist viel zu klein dargestellt. Das dreidimensional modellierte Kraterunterteil steht im Gegensatz zum fast abstrakten linearen und zweidimensional dargestellten pflanzlichen Ornament und sucht als Hybridmotiv seinesgleichen über die Region hinaus. Balmelle und Darmon beschreiben das „mosaïque de Penthèe“ (3. Jahrhundert) aus Nemausus-Nîmes, dessen Kraterunterteil mit dem des „Musen-Mosaiks“ nahezu identisch ist. Ebenso das Kraterunterteil vom „Hylas-Mosaik“ (3. Jahrhundert) aus Vienna-Vienne ().

Der Beginn des 3. Jahrhunderts markiert den zaghaften Wechsel hin zur Verwendung von Körperlichkeit in Flächenmuster und Ornament im Trierer Werkstattkreis, welcher im 4. Jahrhundert nicht mehr wegzudenken war und vor allem in den plastisch-isometrischen Rapportmustern (Stuckimitationen) der rahmenden Ornamentbänder zum Ausdruck kommt. Für das 3. Jahrhundert steht stellvertretend das Trierer „Bacchus-Mosaik“ () mit seinem farbig abgestuften Eierstab – Imitation von einem Stuckprofil - und das „Dionysos-Mosaik“ aus der Olewiger Straße Nr. 2 () in Trier. Der farbige Mäanderhaken „gehört im 3. Jahrhundert und besonders im 4. Jahrhundert in den nordwestlichen Provinzen Gallien, Germanien und Britannien zu einem sehr beliebten Rahmenmotiv“ (). In solch kuriosem Erscheinen von Stilblüten, ist der noch unsichere Umgang und die Ambivalenz mit dem sich langsam vollziehenden Paradigmenwechsel hin zur Verwendung von Dreidimensionalität in Flächenmuster und Ornament ablesbar.

Auch dem singulären Glockenkratermotiv eine besondere Bedeutung beizumessen und in eine Beziehung zum Raumzweck zu stellen, ist angesichts des dargestellten Themas nicht von der Hand zu weisen. In der Regel begleitete Alkohol jedes römische Festmahl, wie zum Beispiel ein Symposium. Die Verwendung von Krater als füllendes Motiv in einem Zwickel passt auch zu dem Themenkreis des DYONISOS beziehungsweise BACCHUS, Gott des Weines und des Rausches. Am Vichtener Mosaik ist eine dreidimensionale Spielart in einem rein zweidimensional gehaltenen Motiv- und Ornamentreigen zu beobachten. Es sei noch darauf hingewiesen, dass sich die gleichen hellblauen Mosaiksteine, die zur Ausgestaltung der Krater verwendet wurden, in den Gewändern der figürlichen Hauptmotive wiederfinden und ihre Stärken beim fein abgestuften Modellieren ausspielen.

Allen schmalen Hüllblättern ist ein leicht V-förmiges Öffnen der Stängel gemein. Die Dominanz der Rottöne in den fast abstrakten Rankenmotiven ergänzen die Farben Grün, Beige und vor allem Blau im Kraterelement. Ein Doppelrahmen aus zwei Reihen schwarzer Steinchen und einem schwarz-weißen nach innen gerichteten Zahnschnittband umfängt den eckständigen Zwickel.


  1. Hüllblätter sind lange Blätter, die einen Blütenstand verhüllen. ↩︎

  2. Als Pelten werden antike Schilder (Schutzwaffe) mit halbmondförmigen, seitlichen Einbuchtungen bezeichnet. Auf griechischen Vasenmalereien sind runde und ovale Formen belegt. ↩︎

Bibliografie

Balmelle & Darmon 2017
Balmelle, C. & Darmon, J.-P. (2017). La mosaïque dans les Gaules Romaines. Paris.
Hoffmann et al. 1999
Hoffmann, P., Hupe, J., & Goethert, K. (1999). In Katalog der römischen Mosaike aus Trier und dem Umland. Trierer Grabungen und Forschungen, 6. Trier.
Istituto della Enciclopedia Italiana 1990-1999
Istituto della Enciclopedia Italiana (1990-1999). Pompei, pitture e mosaici, 1-5. Milano.
Parlasca 1959
Parlasca, K. (1959). Die römischen Mosaiken in Deutschland. Römisch-Germanische Forschungen, 23. Berlin.
Vitruv 2013
Vitruv (2013). Zehn Bücher über Architektur (C. Fensterbusch, Übersetzer). Darmstadt.
Gonzenbach 1961
von Gonzenbach, V. (1961), Die Römischen Mosaiken der Schweiz. Basel.