4.4.5. Unterlage = Vorteppich = triclinium

Ein Abbild der polychromen, quadratgegliederten Deckenunterkonstruktion ist im weitesten Sinne auch die orthogonale „Unterlage“, der Speisebereich des „Musen-Mosaiks“.

Ein höheres Breitrechteck, gegenüber dem Eingang gelegen, bildete als Nebenfeld die nördliche Unterlage (siehe Abb. 172). Allein durch die raumfüllende Breite des Rapports wird dem Speisebereich die ihm zugedachte besondere Bedeutung gewährt. Gegenüber vom Eingang lagen die Betrachter hier auf ihren drei Klinen, den Ruhe- und Speiseliegen mit erhöhtem Kopfende und hatten das auf sie ausgerichtete Mosaik im Blick. Dadurch ist die Hauptansicht des „Musen-Mosaiks“ von Nord nach Süd festgelegt. Dass das Thema Speisen auch im römischen Ahnenkult eine wichtige Rolle spielte, zeigt eindrucksvoll die Weidener Grabkammer bei Köln (siehe Abb. 34; ).

Expand Expand Abb. 172
Der breite „Vorteppich“ ist ein Beispiel für die enge Verwandtschaft zwischen der griechisch-römischen Decken- und Bodendekoration, Feld I bis IV (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Christof Weber, 2002)

Der Hauptfeldrahmen, ein mächtiges viersträhniges Flechtband auf schwarzem Grund, umfasst bewusst nicht den Musterrapport der Unterlage, die eindeutig eine Stuck- oder Kassettendeckengliederung imitiert und macht die klare Trennung sichtbar. Der Vorteppich lag ebenfalls auf der gedachten schwarzen Belagebene und grenzte sich durch das unheilabwehrende Schwellband vom Rest des Mosaiks ab.

Durch sich kreuzenden Reihen von kleinen, diagonalgestellten Quadraten wurde die Mosaikfläche in quadratisch wirkende Felder unterteilt. Alle Quadrate des Schachbrettgrunds berühren sich an der Spitze. So entstanden gleichgroße Felder mit diagonal gestellten, eingeschriebenen Quadraten, alternierend mit Kreuzsternblüten und Kreuzblüten als Füllmotiv. Die kassettenhafte Wirkung ist noch erkennbar. Der Rahmen der Kreuzsternblüten übernimmt die Funktion der Plastizität vermittelnden Innenbordüre, sodass das kassettenhafte der Stuck- und Architekturornamentik noch nachwirkt.

Nicht nur stilistisch hebt sich das streng geometrisch gegliederte triclinium, in den Hauptfarben Schwarz und Weiß, von dem restlichen buntfarbigen Mosaik ab. Auch gestalterisch greift der weiße Grund einerseits, auf dem der Rapport von übereck gestellten gefüllten Quadraten (Kreuzsternblüten), Kreuzblüten (siehe Abb. 170) und konkaven Achtecken liegt, auf die Anfänge der Mosaikkunst zurück. Und andererseits auf dem diagonallaufenden Schachbrettrapport. Eben eine lineare und stilisierte Synthese aus Diagonalschachbrettgrund und Orthogonalrapport (siehe Abb. 173). Als frühe Beispiele sind zu nennen: Forum Iulii-Cividale, welches Donderer um die Mitte des 1. Jahrhunderts ansetzt () oder aus Rom, Via Cassia, datiert 20 n. Chr. bis 30 n. Chr. ().

Aus dem Diagonalschachbrettgrund wird das konkave Achteck abgeleitet (linke Zeichnung), Synthese aus Diagonalschachbrettgrund und übereck gestellten Quadraten im Orthogonalrapport, Varianten aus Vichten und in Gegenfarbe aus Grand (Quelle: MNHA/Rainier Fischer, 2022)

Die Komposition basiert auf dem in Gegensatzfarben gebildeten schlichten Kassettenmuster, dessen Ursprung, wie oben ausgeführt, in der griechisch-römischen Deckenarchitektur zu suchen ist. Dieses rechtwinklig kreuzende „Kassettenschema“ im Orthogonalrapport, wird im Folgendem als sogenanntes schwarzweißes, „flächig-lineares Quadratfelderschemata“ () oder „Quadratfeldersystem“ genannt und wurde auch in der antiken Textilarbeit in Teppichform realisiert. Eine bemerkenswerte Stuckdecke im Orthogonalrapport mit gefüllten Rosetten aus dem Casa del Criptoporticus, REGIO I, Ins. 6,2 hat sich an der gewölbten Decke des Tepidariums () fast unversehrt erhalten. Die in Vichten verwendeten gerahmten Kreuzsternblüten - mit Kassetteninnenrahmung - stehen trotz verminderter Plastizität und Abstraktion in der Tradition der farbig abschattierten Rosetten dieser römisch-hellenistischen Deckenarchitektur.

Die Verwandtschaft des Quadratfelderschemas mit der geometrischen Gestaltung des Speisebereichs von Vichten ist verblüffend: Die perspektivische Ambivalenz der Farbwertigkeit Schwarz-auf-Weiß oder Weiß-auf-Schwarz im rhythmisch gegliederten diagonalen Musterrapport in Gegensatzfarben ist allgegenwärtig.

Der häufig verwendete Begriff des „Bandkreuzgeflecht“ () für diese Art von Gliederung trifft nicht zu und ist irreführend. Obwohl der Begriff „Bandkreuzgeflecht“ in Anlehnung an ein echtes Mattengeflecht nicht direkt dieses auch impliziert, soll, da keine „sich rechtwinklig überschneidende Bänder“ die Fläche gliedern als Muster erkennbar zeigen. Frau Salies übersieht, das als Vorbild auch antike Holzdecken dienen konnten, deren geraden Konstruktionshölzer erst durch den miteinander verschränkten kassettenartigen Aufbau die Statik für die Füllpaneele bildete. Hier wurden keine Bänder miteinander verflochten. Die künstlerische Gestaltung der Decke resultierte aus dem Abstand der Tragbalken zu einander, deren Länge und Dicke mit Blick auf die Tragfähigkeit der Decke maßgebend war.

Zwanzig gefüllte Quadrate und ebenso viele Kreuzblüten beziehungsweise Vierblattrosetten, gleich einem Quadratnetz, wechseln sich im ausgesparten Rapportgrund ab und werden von einem breiten schwarzen Rahmenband umfangen. Das durch die weißen, auf der Spitze stehenden, Schnittpunktquadrate im schwarz-weißen Schachbrettmuster gebildete imaginäre Kassettenmuster umschließt den diagonalen Rapport. Zur Erhöhung der kontrastreichen Abstufung wird jeweils ein, am Quadrat anliegendes, weißes Schachbrettquadrat durch ein schwarzes ersetzt und bildet ein konkaves Achteck - mindestens ein Innenwinkel kleiner als 180 Grad. Erwähnenswert ist die Tatsache, dass das konkave Achteck eine geometrische Variante des regelmäßigen konvexen Achtecks beziehungsweise Oktogons ist. Als Folge der Umkehrung der Wertigkeitsverhältnisse, die eine Farbe als zeichnendes Element definiert, ist bei diesem Rapport die Absicht einer klaren Trennung nicht mehr möglich. Ist beim dreigliedrigen Hauptfeld Weiß als Untergrundfarbe für das Muster klar erkennbar, so fällt die Entscheidung für den Vorteppich nicht leicht, da man je nach Betrachtungsweise - ein sowohl als auch - eine schwarze Zeichnung auf weißem Grund oder eine weiße Zeichnung auf schwarzen Grund sieht.

Beispiele aus Andesina-Grand und Trier zeigen die weitgestreute Verbreitung des T-Balken-Motivs in Gegenfarbe, welches in Vichten in Schwarz-auf-Weiß Verwendung fand (; ). Ist das Wertigkeitsverhältnis Schwarz auf Weiß im Hauptfeld eindeutig, so ist hier die Ambivalenz offenkundig. „Die streng ambivalente Wertigkeit der Muster und seine doppelte Lesbarkeit ist charakteristisch für frühseverische Mosaiken, […] Seit der 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts, besonders in dem letzten Viertel, beginnt, nach den datierbaren italischen Beispielen zu schließen, eine Tendenz sich abzuzeichnen, die das vorher absolut herrschende Prinzip der schwarzen Zeichnung auf schwarzem Grund umkehrt, so dass dann im 3. Jh. die flächigen Rapporte ganz überwiegend in weißer Zeichnung auf schwarzem Grund erscheinen“ (). Nicht so auf dem Vichtener Mosaik.

Die weißgrundigen Quadratmotive werden aus einem Rahmen aus zwei Reihen schwarzer Steine gerahmt. Diese sind mit einem eingeschriebenem, übereck gestellten, abgetreppten polychromen Quadrat mit Kreuzblütenstern oder einer schwarzen Vierblattrosette gefüllt. Das „mosaïque du Soleil maîtrisant ses chevaux“ aus dem 3. Jahrhundert bei Agetincum-Sens steht stellvertretend für die weite Verbreitung dieses beliebten Motivs, sei es in Schwarz auf weißem Grund oder umgekehrt (). Die bunten Kreuzsternblüten sind mit vier spitzovalen Blättern, die um einen Mittelpunkt - hier einen schwarzen Stein - gruppiert gezeichnet und abschattiert in monochrom Rot und Rot-Orange-Grün. In den Winkeln wird die „Blüte“ durch einen schwarzen Stein gehalten, die inwärts mit einem roten Farbtupfer gezeichnet sind. Jeweils zwei Muster in der vertikalen Reihe sind identisch und wechseln sich in genau festgelegter Folge ab, wie auch in den oben genannten Farbfolgen. Zudem berührt bei einer Variante die mehrfarbige Blüte das Rahmenband. In die andere Hälfte der Quadrate sind halbierte Kreuzsterne an den vier Seiten, mal am schwarzen Rand anliegend, dann eine Steinreihe vom Rand entfernt um das Motiv der Kreuzblüte beziehungsweise Vierblattrosette eingestreut.

Abschließend folgt die Einfassung als Linienrahmen, aus einem Streifen schwarzer Steine (3 Steinreihen), einem Streifen weißer Steine (3 Steinreihen), der auch das Hauptfeld rahmt und einem 15 cm breiten Band mit schwarz-weiß, nach außen gerichteter, abgetreppter Dreiecken an der Schmalseite zur aufgehenden Wand. Das ambivalente Muster setzt sich aus zwölf Steinreihen zusammen.

Wohl als Folge des, in verkleinertem Maßstab ausgeführten Werkentwurfs, ist der unorthodoxe Füllstreifen mit vielfach abgetreppten schwarzen Dreiecken als Notbehelf an der Schmalseite zur aufgehenden Nordwand zu verstehen. Sei es, dass ohne sie das Mosaik in der Länge den Raum nicht ausfüllte, sei es, dass sie einen „misslungenen“ Versuch darstellen, Teppichfransen wiederzugeben. Entweder waren bei der Bemaßung der beiden zusammengelegten Räume - die Dicke der niedergelegten Mauer mit eingerechnet - die Angaben des Werkentwurfs nicht korrekt in den Maßstab auf der Baustelle eingeflossen. Oder aber die streng geometrische Musterfolge füllte schon im Entwurf exakt nur die Breite des Zimmers aus, ohne auf die Länge Rücksicht zu nehmen. Des Fehlers bewusst, streckten die Mosaizisten die beiden Reihen der Peltenkreuze in den Schwellteppichen in der Länge unauffällig um 2 cm bis 3 cm und verringerten die Lücke um rund 10 cm. Als Folge, verursacht durch den vergrößerten Durchmesser der Pelten, verringerte sich aber die Anzahl der Peltenpaare von 15 (vorderer Schwellteppich) auf 14.

Die verbliebene Lücke zur Wand musste nun ein Rahmenband aus nach auswärts gerichteten, beidseitig abgetreppten, schwarzen Dreiecken auf weißem Grund füllen. Eine geschickt eingebundene geometrische Form zur Angleichung an den Raumgrundriss, der flexibel größere und kleinere Distanzen überbrückt, um Rechen- und Zeichenfehler oder unpassende Baustrukturen zu kaschieren. Die abgetreppten Dreiecke wirken wie einseitiger Fransenschmuck am Vorteppich.

Zwei zusammengehörige Mosaikreste aus der Böhmerstraße in Trier (Anfang des 3. Jahrhunderts), jeweils gefunden und geborgen 1902 und 1978, entsprechen dem Vichtener „Musen-Mosaik“ als Zweifelder-Mosaik (). An ein quadratisches Hauptfeld schließt sich ein Vorteppich mit geometrischen Mustern an. Die abgetreppten Dreiecke, fransengleich, umfangen hier das gesamte Mosaik und nicht, wie in Vichten, nur eine Schmalseite. Ein weiteres Fragment vom Trierer Konstantinplatz ist ebenfalls mit abgetreppten Dreiecken begrenzt (). Die gleiche Funktion kann auch eine flexible Zahnschnittreihe übernehmen (). Allen vier Mosaiken ist der zeitliche Horizont 1. Hälfte des 3. Jahrhunderts zu eigen. Eine Ausnahme bildet das ornamentale Mosaik aus dem Palastgarten, welches in die 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts datiert ().

Interessant in diesem Zusammenhang ist das Spiel und der einhergehenden Umkehrung der Farbwertigkeiten für die Unterlage: die nach außen gerichteten schwarzen Dreiecken oder Zahnschnittreihen () suggerieren als Franzen eine weiße Unterlage, wie am Vichtener Mosik und dem vom Konstantinplatz erkennbar () Hingegen belegen die nach außen gerichteten weißen Dreiecke () eine Farbumkehrung in Form einer schwarzen Grundierung.

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