4.4.7. Zweifeld-Mosaik

Anfang des 3. Jahrhunderts wurden die „Zweifeld-Mosaiken“, bestehend aus einem quadratischen Hauptfeld mit Thema sowie einem individuell gestaltbaren Nebenfeld, unter den Mosaikformen immer beliebter (siehe Abb. 176 und Abb. 177). Weiter Bestand im Repertoire der Mosaizisten hatte das „Einfeld-Mosaik“, hier oft mit Unterteppich (siehe Abb. 161). Das auch „Victorinus-Mosaik“ genannte Paviment mit Unterteppich, bestehend aus gegenüberliegenden geometrisch verzierten Rechteckvorlagen, ist ein ornamentales Mosaik, welches aus Rautensternen in Zentralkomposition gebildet wird. Die verwirrende Motivvielfalt ist ein Rückgriff auf Kompositionstraditionen aus dem 2. Jahrhundert aus dem Rhônetal. Das Vichtener „Musen-Mosaik“ verbindet die bekannten Systeme des „Ein-“ und „Zweifeld-Mosaiks“ zu einer Sonderform. Den voneinander getrennten Kompartimenten, einem großen langrechteckigen Hauptfeld und einem breitrechteckigen Nebenfeld, werden zwei Schwellstreifen hinzugefügt.

Expand Expand Abb. 176
„Zweifeld-Mosaik aus Trier: „Rennfahrer-Mosaik“, 1. Hälfte des 3. Jahrhundert (Quelle: Rheinisches Landesmuseum Trier)
Expand Expand Abb. 177
Gespiegeltes „Zweifeld-Mosaik aus Trier: „Rhetoren-Mosaik“, Mitte des 3. Jahrhunderts (Quelle: Rheinisches Landesmuseum Trier)

Die Abbildungen 176 und 177 zeigen „Zweifeld-Mosaik“ Beispiele aus Trier: Das „Rennfahrer“- (1. Hälfte des 3. Jahrhundert) und das gespiegelte „Literaten“- oder „Rhetoren-Mosaik“ (Mitte des 3. Jahrhunderts) bilden exemplarisch die unterschiedlichen geometrischen Gestaltungsmöglichkeiten der antiken Mosaizisten ab. Bei beiden sind die in Gegenfarbe gesetzten konkaven Achtecke (T-Muster) unterschiedlich interpretiert: einmal als Nebenfeld - wie im „Musen-Mosaik“ - oder als Rahmenband, welches das ganze Mosaik umfasst.

Dem sonst in der römischen Mosaiktradition üblichen „Zweifeld-Mosaik“ - wie dem „Polydus-Mosaik“ aus der Trierer Weberbach () und dem „Gladiatoren-Mosaik“ aus Bad Kreuznach () - bestehend aus quadratischem Haupt - und Nebenfeld, musste der neuen langrechteckigen Raumsituation angepasst das „Musen-Mosaik“ um zwei gegenüberliegende Unterteppiche, hier als Schwellband, ergänzt werden. Als solitäre Erscheinung steht diese Flächenkombination im näheren Umkreis, in dem sich nichts Vergleichbares findet (siehe Abb. 178).

Eher selten erscheint die Komposition als quadratische Zentralkomposition mit konzentrisch geordneten geometrischen Freiflächen in Form von Medaillons. Gleich Fenster oder Spiegel durchbrechen die Bildfelder - in Form einer offenen Blüte - den dichten Ornamentkomplex. Die herausgehobene Stellung des Zentralmedaillons wird durch die größere Bildfläche und reiche Rahmung - zwei verschränkte Flechtbandquadrate die einen Achteckstern bilden - unterstrichen. „Auch diese Fensterwirkung der Bildfelder größerer Teppichmosaiken ist bezeichnend für das mittlere und spätere 3. Jh.“, als Beispiel Funde aus Aventicum-Avenches in der Provinz Germania Superior (). Wobei es verwundert, dass diese Entwicklung in der heutigen Schweiz mit der Nähe zu Italien, später beginnt als in der Provinz Gallia Belgica.

Expand Expand Abb. 178
„Zweifeld-Mosaik“ Beispiel - als Sonderform mit zusätzlichen Schwellbändern - aus Vichten (Quelle: Christof Weber, 2002)

Das „Musen-Mosaik“ wurde als Kompositionsschema mit einem quadratischen Hauptfeld im Oktogon- oder Achtecksystem mit acht sternförmig, um das Zentralmedaillon gruppierte parataktische Oktogone realisiert. Das Zentralmedaillon wurde hier in Form eines Achtecksterns aus verschränkten Quadraten gebildet. Vergleichbare Kompositionsschemata kommen nur zweimal im näheren Umkreis und deutlich später vor: Zum einen als Mosaik mit neun gleichgroßen Achtecken und ornamentaler Apsis, dem „Monnus-Mosaik“ (ausgehendes 3. Jahrhundert) () aus der Ostallee und zum anderen, ebenfalls aus Trier, aus der Schützenstraße (), als ornamentale und figürliche Fragmente (Ende des 3., Anfang des 4. Jahrhunderts) mit ebenfalls gleichgroßen Achtecken wie beim „Monnus-Mosaik“. Wobei beim letzten Genannten die spärlichen Mosaikreste eine eindeutige Interpretation nicht zulassen.

Vom Kompositionsschema unterschiedlich, aber im Aufbau des Zentralmedaillons nahezu identisch, sind im Vergleich das „Polydus“- und „Musen-Mosaik“ (siehe Abb. 179a und Abb. 179b). Der in verblüffender Manier aus zwei verschränkten Vierecken, jeweils aus einem roten und grünen abschattierten zweisträhnigen Flechtband, gebildete Stern, wird durch eine Rahmenleiste mit nach innen gerichteten Dreiecken zentriert. Auch ist bei beiden Mosaiken die Ausrichtung der Sichtachse vom Vorteppich - dem Speisebereich - zum identischen Achteckstern als Zentralmotiv, gerichtet. Lediglich in der Akzentuierung der verschränkten Quadrate und der Motivwahl zeigen sich Unterschiede. Die dunklere und belebtere, expressive Rahmung um den siegreichen Wagenlenker tritt stärker in den Vordergrund und hebt diesen gegenüber der feingliedrigen des „Musen-Mosaiks“ hervor.

Gleiche Ausschnitte des „Polydus-Mosaiks“ mit Zentralmedaillon als Achteckstern aus Trier und dem „Musen-Mosaik“ aus Vichten, Feld XV (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Rheinisches Landesmusem Trier, links, und Christof Weber, 2002, rechts)

Als Zentralkompositionsschema kann überregional vergleichbar das „Gladiatoren-Mosaik“ aus Bad-Kreuznach (Landkreis Bad Kreuznach) gelten, welches um 230 n. Chr. und 240 n. Chr. datiert wurde. Zwischen diesem breitrechteckigen Mosaik, dem „Polydus-Mosaik“ aus Trier und unserem gibt es augenscheinlich mehrere stilistische und formale Parallelen, erkennbar an eigentümlichen mit farbigen Flechtbandknoten gefüllten Peltenblüten und den Eckzwickeln. Zusätzlich betont ein Wellenband das Zentralmedaillon des „Gladiatoren-“ und „Polydus-Mosaiks“. Die dreifache Einfassung des zentralen Bildfeldes, bestehend aus Rahmen und inwärts oder auswärts gerichteter Zahnschnittleiste, spricht für die Verwendung der gleichen Vorlage. Erwähnenswert ist die identische Formgebung der Kreuzsterne und Kreuzgipfelchen im Peltenrapport, wie wir sie von vielen zeitgleichen römischen Mosaiken aus Trier und Luxemburg kennen (siehe Kapitel Musterkatalog der Motive).

Beiden Mosaiken gemeinsam ist auch der für uns interessante zeitliche Horizont von 230 n. Chr. bis 240 n. Chr. beziehungsweise um die Mitte des 3. Jahrhunderts. Zu betonen ist ebenfalls die Tatsache, dass die besondere Peltenblüte auf den beiden oben genannten Mosaiken auch auf dem ornamentalen Mosaik aus dem Palastgarten, im Bereich der Kaiserlichen Basilika, noch im 4. Jahrhundert in Woodchester in England () ein römisches Mosaik ziert. Ein weiterer Beleg für die lange Nutzung einzelner Motive und die Schwierigkeiten bei der zeitlichen Einordnung der römischen Mosaike ohne die Unterstützung von datierungsrelevanten Funden aus der jeweiligen archäologischen Ausgrabung. Dies spricht auch für einen langen zeitlichen Horizont in der Verwendung der umfangreichen Vorlagensammlung, die bestimmt regelmäßig dem aktuellen Zeitgeschmack angepasst wurde und nicht immer analog verlief.

Eine weitere Besonderheit betrifft die geometrische Konstruktion des zentralen Achtecks mit Hilfe des Dreistrangflechtbands, die sich um die Mitte des 3. Jahrhundert dem hiesigen Repertoire anschließt. Zwei ineinander verschränkte schwarzgrundige Flechtbandquadrate, um 45 Grad verschoben, lassen als Umrahmung des Zentralmotivs einen Achteckstern entstehen. Die Acht repräsentiert das Gleichgewicht im Kosmos und soll die Hierarchie in der inhaltlichen Bedeutung des Mosaiks unterstreichen. Auch für diesen besonderen Kompositionskniff liegen - neben dem „Musen-Mosaik“ - nur zwei bedeutende Mosaikfunde aus Trier vor: dem „Siemens-Mosaik“ (siehe Abb. 165) aus der Neustraße () und dem „Polydus-Mosaik“ (siehe Abb. 179a) aus der Weberbach. Vernachlässigbar ist ein weiterer in der Ausführung bescheidener Mosaikfund mit Achteckstern aus dem Innenhof des Kurfürstlichen Palais-Basilika (). Auch das Mosaik aus Tockington Park (siehe Abb. 163) und Mosaikreste aus der Mehringer villa rustica (Kreis Trier-Saarburg) () bei Schweich, um 300 n. Chr., bilden einen Achteckstern ab.

Auf den ersten Blick haben das zwischen 230 n. Chr. und 240 n. Chr. datierte Bad Kreuznacher „Gladiatoren-“ und unser „Musen-Mosaik“ nicht viel Gemeinsames. Aber allein beim Vergleich der Motivwahl finden sich neun Übereinstimmungen. Beiden ist die Zentralkomposition mit acht Medaillons gemein, diese verfügen über Schwellbänder und einen Speisebereich. Aber vor allem im Detail des Seitentriebs mit kleiner Knospe zeigt sich die enge künstlerische Verwandtschaft.

Bei der Umsetzung der Ranken mit Peltenblüten, Doppelvoluten, Hüllblättern, länglichen Knospen und Seitentrieben (siehe Abb. 180, Abb. 181 und Abb. 182, rot markiert) sind zum einen verschiedene Handschriften zwischen den Motiven in Vichten, Bad Kreuznach und Trier erkennbar. Auf drei Arten spielte der antike Mosaizist gekonnt mit einem Motiv: einmal im „Gladiatoren-Mosaik“ als Schwellband, im „Musen-Mosaik“ in den Diagonalzwickeln und als raumfüllendes Apsismotiv auf dem „Monnus-Mosaik“. Auffällig sind die Körper der länglichen Hüllblätter mit Glanzlichtlinien gezeichnet, die den vegetabilen Motiven Dreidimensionalität und somit Körperlichkeit verleihen. Vergleichbar sind frühe Funde aus Vailly (Département Haute-Savoie, um die Mitte des 2. Jahrhunderts) und ein Mosaikrest, gefunden 1838, in der Nähe von Augusta Suessionum-Soissons (Département Aisne), eine einfache Variante einer Ranke mit Hüllblättern und feinen Seitentrieben mit Herzblüten ().

Drei Varianten der Seitentriebe: „Musen-Mosaik“ aus Vichten, Feld X (links); „Gladiatoren-Mosaik“ aus Bad Kreuznach (Mitte); „Monnus-Mosaik“ aus Trier (rechts) (Quelle: MNHA/Rainier Fischer nach Foto Christof Weber, 2002, links; MNHA/Rainier Fischer nach Foto Römerhalle Bad Kreuznach, Mitte; MNHA/Rainier Fischer nach Foto Rheinisches Landesmuseum Trier, rechts)

Im Vergleich die drei Varianten in den Seitentrieben und der Körperlichkeit verleihenden Glanzlichtlinien in den Hüllblättern: etwas steif wirkt die Motivkombination „Hüllblatt mit Seitentrieb und Peltenblüte“ vom „Musen-Mosaik“ aus Vichten und vom „Gladiatoren-Mosaik“ aus Bad Kreuznach, intermittierend und einseitig seitlich gezeichnet. Beide Spielarten sind Reproduktionen vom gleichen „Karton“ und räumlich getrennt, scheinen aber zeitnah geformt und gelegt. Beim 50 Jahre jüngeren „Monnus-Mosaik“ aus Trier erscheint die gleiche, gegenständig gezeichnete Motivkombination schwungvoller, ausgewogener, vegetabiler und gereifter. Jedoch sind auf dem „Gladiatoren-Mosaik“ die konzentrisch geordneten Freiflächen zwischen den Medaillons und dem Schwellenband mit demselben geometrisch-ornamentalen Grundmotiv gefüllt. Vor allem eine Besonderheit verbindet „Musen-“ und „Gladiatoren-Mosaik“ miteinander: der unscheinbare Seitentrieb mit Knospe aus dem Eckzwickel des „Musen-Mosaiks“ mit dem Glockenkraterunterteil ist prominent in Bad Kreuznach, als dekorativer Bestandteil der großen Ranke in den gegenüberliegenden Schwellbändern positioniert. Unser Mosaizist brachte das Kunststück fertig, auf kleinstem Raum, eben dem Eckzwickel, diese Motivvielfalt auf dem „Musen-Mosaik“ in Form eines Kompositmotiv zu reduzieren und auf kleinster Fläche unterzubringen. Aus diesem Grund wirkt auf den ersten Blick der Glockenkraterleib, aus dem die Peltenblüten und Hüllblätter herauswachsen, so disproportioniert. Der Ranke fehlte der Platz, um sich wie gewohnt, aus einem Krater herauswindend, über eine größere Fläche ausbreiten zu können und stattdessen transformiert die Form eines Henkels zu bilden.

50 Jahre später begegnet uns im „Monnus-Mosaik“ die gleiche Virtuosität der Vorlage, die aber, dem größeren Platzangebot geschuldet, mehr Freiflächen mit Rauten, Trapezen und Quadraten füllen konnte. Durch die zurücknehmende Rahmung der Medaillons wirkt die Komposition trotz der überladenden Eckzwickel insgesamt eleganter und leichter. Auch der kleine Seitentrieb mit Knospe und Volute ist nun stärker akzentuiert und wohlproportionierter selbstverständlicher Teil eines großen Ganzen. Immerhin noch sieben Übereinstimmungen der Motivwahl sehen das „Monnus-Mosaik“ in der Tradition der Vorlagenbücher, die auch schon die Mosaizisten vom „Musen-Mosaik“ verwendeten. Aber die Füllungen der geometrischen Freiflächen erfolgt gänzlich mit Motiven, die weder in Vichten noch so in Bad Kreuznach zum Einsatz kamen und für einen erkennbaren Generationswechsel stehen. So zum Beispiel die gespiegelte Spiralpeltenblüte oder die flachgedrückte Lotusblüte.

Offensichtlich fand im beginnenden 3. Jahrhundert in den Trierer Mosaikwerkstätten ein in Vichten greifbarer Stil- und Motivwechsel statt. Die eigenständige Formensprache der „Trier-Mosaizisten“ wird allerorts sichtbar. Abgesehen von den gestreckten mehrfarbigen Flechtbändern, zeigt sich diese vor allem in den, nun gern verwendeten, Einzelmotiven, wie zum Beispiel: Peltenkreuz gefüllt mit Flechtbandknoten und verbindenden Kreuzchengipfel, Peltenblüte, Doppelvolute, Zinnenmäander, Mäanderhakenband und Kreuzstern.

Die Mosaizisten emanzipieren sich und wenden sich von dem gewohnten und wohl zum Teil aus dem Rhônetal übernommenen Ornamentkomplex langsam ab und setzten vermehrt Figuren, Tiere und Landschaften eigenständig in Szene. Hier und dort werden zwar noch immer Flächen dicht mit allerlei geometrischen Formen - hier vor allem das „Rautenstern-Mosaik“ aus Trier - als Mosaiken, deren Verwandtschaft zu Teppichmustern offenkundig ist, verlegt. Das „Victorinus-Mosaik“ (siehe Abb. 161), um die Mitte des 3. Jahrhundert in Auftrag gegeben, sei hier als spätes Beispiel der veralteten Tradition genannt.

Ebenfalls in der Tradition der „Rautenstern-Mosaiken“ steht eines der größten und besterhaltenen römischen Mosaiken nördlich der Alpen, das „Gladiatoren-Mosaik“ aus dem Zentralraum einer Palastvilla in Nennig (Landkreis Merzig-Wadern) an der Mosel1. Das „Gladiatoren-Mosaik“ aus der römischen Palastvilla von Nennig, 40 km westlich von Trier entfernt, wurde 1852 entdeckt, freigelegt und „in situ“ bis 1874 untersucht und 1960 nochmals restauriert. Nur die prächtige Risalitvilla von Echternach weist vergleichbare Ausmaße auf. Wie das „Gladiatoren- Mosaik“ aus Bad Kreuznach, so datiert auch das Mosaik von Nennig um 230 n. Chr. bis 240 n. Chr. Eine Postkarte von Lichtdruck Schaar & Dathe aus Trier (1898), als Beilage aus der Umschlaginnenseite einer Publikation von 1895, bildet das im Goldenen Schnitt angelegte römische Mosaik im verkleinerten Maßstab schwarz-weiß ab (). Die verwendeten Motive, die Zierbortenornamentik der sechs großen Rautensterne und Bildfelder als Achteckstern und Quadrat zeugen vom Trierer Werkstattkreis und führen somit indirekt stilistisch nach Vichten (siehe Abb. 183).

Expand Expand Abb. 183
Postkarte von 1898 mit dem römischen „Gladiatoren-Mosaik“ aus Nennig (Quelle: Lichtdruck Schaar & Dathe, 1898)

Vor allem das Achteck, auf der Postkarte ganz unten gelegen, mit den beiden Musikanten, der Erste Wasserorgel und der Zweite Horn spielend, lassen auffallende Parallelen mit dem Zentraloktogon vom „Musen-Mosaik“ erkennen. Mehrere Gemeinsamkeiten sind zu benennen: wie die vierfache Rahmung des Achtecks mit dreisträhnigem Flechtband, beidseitig von einer Zahnschnittleiste begleitet. Außen schließt ein zweisträhniges Flechtband - welches in Vichten verschränkt ein weiteres Achteck bildet - die Rahmung ab. Oder die Standlinie der Musikanten im gleichen Duktus und Farbe. Auch die gleichmäßig segmentförmige Füllung des Grundes mit weißen Steinen. Des Weiteren lässt die einfache Abschattierung des Faltenwurfs der Bekleidung der Musiker die gleiche Schule, wie bei Homer und den neun Musen, erkennen.

Hierzu als Kontrast zu der veralteten Tradition der übervollen „Rautenstern-Mosaiken“, unser „Musen-Mosaik“ von Vichten. Dem Zeitgeist entsprechend wird die Originalität der „Fensterflächen“, die die Figurenmedaillons beherbergen, beibehalten. Das Rahmenwerk wird jedoch neu strukturiert und bekommt eine untergeordnete Rolle zugewiesen und wirkt nicht mehr so überladen und gedrängt. Dieses, bestehend aus Flechtband, Peltenrapport, Eckzwickel und Dreiecken, tritt hierbei erstmals in den Hintergrund und wird schmückendes Beiwerk. Die Andersartigkeit der Ambivalenz der Mosaiktradition beziehungsweise der Wunsch nach Kontinuität in der Motivwahl, bleibt dem Nebenfeld vorbehalten, wodurch geometrische Formen, in Schwarz-auf-Weiß oder Weiß-auf-Schwarz gelesen, alte Muster tradieren. Diese erreichten über den Umweg Südfrankreich ihren Bestimmungsort Vichten. „Betrachten wir die Mosaiken der 1. Hälfte bis um die Mitte des 2. Jahrhunderts, so kann man feststellen, daß die Mosaizisten hauptsächlich über ein italisches bzw. oberitalisches Repertoire verfügten, daß ihnen vereinzelt aber auch Eigenheiten, die man im Rhônetal findet, durchaus geläufig waren“ ().

13 der 18 verwendeten Motive für unser Mosaik sind stilbildend für das 3. Jahrhundert und darüber hinaus. In der Bevorzugung der neuen Motivvielfalt möchte der Bauherr sein Interesse an der aktuellen, intellektuellen Motivmode bekunden und gleichzeitig nicht ganz auf bewährtes Motivrepertoire verzichten. „Wer sich in einer solchen Situation befindet, muss Originalität suchen…“ (). Eben ein Trendsetter seiner Zeit!

Nicht übersehen werden darf die qualitätsvolle, schlanke Namensbeischrift in Kapitalschrift, der lateinischen capitalis monumentalis in den Medaillons - Terpsichores Namensbeischrift fällt durch eine ungewöhnliche Buchstabentrennung auf - die in dieser ausgezeichneten Qualität auch in die 1. Hälfte des 3. Jahrhundert weist (siehe Abb. 184). So wie der Ausschnitt aus dem „Rennfahrer-Mosaik“ aus der Weberbachstraße in Trier mit Namensbeischrift in schlanker capitalis monumentalis-Schrift „VICTOR(INVS)“. Die Rahmenleiste bildet ein schwarzes Band und nach Innen gerichtete Dreiecke. Als reine Majuskelschrift (Großbuchstaben) wird sie auch als Lapidarschrift (lat. lapis = Stein) nach ihrem primären Beschreibstoff bezeichnet. Sie begegnet uns in Mosaiken mit figürlichen Feldern, den „Rennfahrer-Mosaiken“ aus der Ostallee und der Weberbachstraße, und in minderer Qualität nochmals aus der Weberbachstraße - „Polydus-Mosaik“ mit Achteckstern - in Trier (). Auch sonst fallen die oben genannten Mosaiken mit vielen augenfälligen Gemeinsamkeiten in der Motivwahl auf, die eine Trierer Werkstattzugehörigkeit möglich scheinen lässt. So beispielsweise die Dreifach-Rahmenleiste mit abgetreppten Dreiecken, die, wie auf dem „Rennfahrer“- und „Polydus-Mosaik“, nach innen zum Zentrum gerichtet ist. Auf dem „Musen-Mosaik“, als Spielart der vierfachen Rahmung, werden diese beidseitig von Dreieckleisten begleitet. Die Spitzen der Dreiecke zum dreisträhnigen Flechtband hingewandt. Wichtiger als die Werkstattzugehörigkeit ist jedoch der für uns so wichtige zeitliche Horizont.

Expand Expand Abb. 184
Ausschnitt aus dem „Rennfahrer-Mosaik“, Trier, 1. Hälfte des 3. Jahrhunderts (Quelle: Rheinisches Landesmuseum Trier)

Abschließend kommentiert, konnten bei den oben genannten römischen Mosaiken, den beiden „Gladiatoren-Mosaiken“ aus Bad Kreuznach und Nennig, aus Trier vom Konstantinplatz dem „Literaten-Mosaik“, aus der Neustraße dem „Siemens-Mosaik“, aus der Ostallee, dem „Rennfahrer-Mosaik“ aus der Weberbach ebenfalls ein „Rennfahrer-Mosaik“ und aus der Weberbach dem „Polydus-Mosaik“ viele stilistische Übereinstimmungen erkannt werden, die für eine Datierung des „Musen-Mosaiks“ vor der Mitte des 3. Jahrhunderts sprechen.

Eine weitere aufschlussreiche Spur führt 15 km von Trier entfernt nach Schweich an der Mosel (Kreis Trier-Saarburg). „Bei der Anlage eines Grabes auf dem Friedhof“ wurde „die Randzone der Apsis mit Teilen des daran anschließenden Bildfeldes“, die „Venus in der Muschel“ freigelegt und 1925 vom Trierer Museum geborgen (). Der gefällig modellierte Kopf der Venus findet sein Pendant in den Gleichschönen der Musen aus Vichten. Vor allem Polyhymnia scheint ihr wie aus dem Gesicht „geschnitten“. Die Gestaltung der Schulter und des rechten Arms der Venus findet sein Gegenüber bei der Muse Urania. Und Teile der Ausformung der Muschel (griech. konche, lat. concha) setzen sich in den Schattierungen von Thalias Gewand fort. Verschwenderisch der Einsatz von hellblauen Steinen. Allem Anschein nach wurde auch die Baustelle der „Römer-Villa“ in dem heutigen Schweich von der gleichen Werkstattgemeinschaft aus eben dieser Stadt Trier in der 1. Hälfte des 3. Jahrhunderts beliefert.

Die gewonnenen Erkenntnisse verleiten allzu gerne dazu, dass Datum 234 n. Chr. bis 235 n. Chr. als Entstehungszeitraum für das „Musen-Mosaik“ zu postulieren. Eine länger zeitliche Unterbrechung, an der angezeigten Dehnungsfuge im Nebenfeld (triclinium) nachgewiesen, sei sie jahreszeitlich oder durch ein anderes Ereignis, passt hervorragend zu dem tragischen Ende der Dynastie der Severer im Frühjahr 235 n. Chr. in einem Heerlager bei Mogontiacum-Mainz (Rheinland-Pfalz). Unser Besitzer der Domäne in Vichten fiel vielleicht in Ungnade, wurde mit der damnatio memoriae2 oder abolitio nominis3 belegt und musste sein Hab und Gut zurücklassen. Ob er die brutale Machtübernahme durch den neuen Soldatenkaiser MAXIMVS THRAX überlebte, wissen wir nicht. Herodian, ein römischer Geschichtsschreiber, der etwa von 175 n. Chr. bis 250 n. Chr. lebte, behauptete jedenfalls, dass alle Günstlinge und Freunde des Severerkaisers SEVERVS ALEXANDER getötet wurden.

Abrupt wurden die restlichen Verlegearbeiten am „Musen-Mosaik“ im Bereich des tricliniums mangelhaft fertiggestellt. Neben der vollendeten Marmorvertäfelung und der Deckenmalerei kam die Finalisierung der Wandmalerei im großen Saal nicht mehr zu Stande. Obenauf lag im Schutt eine Silbermünze von der ebenfalls heimtückisch ermordeten Kaisermutter IVLIA MAMAE (siehe Abb. 12) des letzten severischen Kaisers. Die verlassenen Räume blieben lange Zeit unangetastet.

Das „Musen-Mosaik“ fügt sich jedenfalls mühelos in die Reihe der herausragenden Zeugnisse römischer Mosaikkunst in der Handwerkstradition im Gestaltungskreis der Civitas Treverorum - als Handwerkszentrum - in den Zeitraum zwischen 230 n. Chr. und 240 n. Chr. ein.


  1. . Vortrag gehalten am 20. September 1908, vor den an Ort und Stelle versammelten Mitgliedern des Vereins Luxemburger Naturfreunde. S.3. „Verehrte Herren! Das vor uns liegende Mosaik zierte einstmals das 16 Meter lange und 10 ½ Meter breite Atrium einer sehr ausgedehnten römischen Prachtvilla. Beim ersten Anblick frappiert uns die Großartigkeit und Farbenharmonie dieses musivschen Tempels.“ ↩︎

  2. Lat. = Auslöschen der Erinnerung, verdammen des Andenkens. Tilgung des Andenkens von bestimmten Personen und ihrer Taten für die Nachwelt, war vor allem den unbeliebten römischen Kaisern vorbehalten. ↩︎

  3. Lat. = Namenstilgung. ↩︎

Bibliografie

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Arendt, C. (1908). Das römische Mosaik von Nennig. Mit einer Tafel. Luxemburg.
Goethert 1999
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Hoffmann et al. 1999
Hoffmann, P., Hupe, J., & Goethert, K. (1999). In Katalog der römischen Mosaike aus Trier und dem Umland. Trierer Grabungen und Forschungen, 6. Trier.
Parlasca 1959
Parlasca, K. (1959). Die römischen Mosaiken in Deutschland. Römisch-Germanische Forschungen, 23. Berlin.
Stern 1957
Stern, H. (1957). Recueil général des mosaïques de la Gaule. I. - Province de Belgique, 1. Partie Ouest. Paris.
Gonzenbach 1961
von Gonzenbach, V. (1961), Die Römischen Mosaiken der Schweiz. Basel.
Wagner 1895
Wagner, J. (1895). Die römische Villa und der Mosaikboden zu Nennig. Saarburg.
Woodfield 2003
Woodfield, R. (2003). Das Gombrich Lesebuch. Ausgewählte Texte zu Kunst und Kultur. Berlin.