6. Schlussfolgerungen

Es war kein leichtes Unterfangen, den Spannungsbogen von der Grabung 1995 über die Restaurierung dieses einmaligen Kunstwerks bis ins Jahr 2000 und der Präsentation im Nationalmuseum nach 20 Jahren wieder aufzugreifen. Beim näheren Hinsehen überrascht das „Musen-Mosaik“ immer wieder aufs Neue. So wie das Nebeneinander- oder Ineinandergreifen von künstlerischer Meisterschaft auf der einen Seite und die selbstverständliche Nachlässigkeit in der Ausführung auf der anderen Seite. Noch sind nicht alle Geheimnisse entschlüsselt, geschweige denn überhaupt erkannt. Nur langsam und behutsam war es möglich, sich diesem, für unsere Region einmaligen römischen Fund gleichsam tastend anzunähern. Zwar ergab sich erst durch den zerstörerischen Eingriff einer Baggerschaufel diese einmalige Gelegenheit. Leider wurden dadurch auch große Gebäudeteile des Herrenhauses im mediterranen Stil, der pars urbana, mitsamt den Raumausstattungen unwiederbringlich zerstört und lassen keine Rückschlüsse auf die weiteren baulichen Dimensionen und Kontextualisierung ihrer Bewohner zu.

Eingebettet in umfangreiche archäologische Hinterlassenschaften in der näheren Umgebung, wie zum Beispiel das Grabdenkmal „Nolstaen“ in der Nähe des Baches Viicht, die Fluren „Kraizwies“ und „Akscht“ zwischen Vichten und Schandel mit ihrem Fundreichtum und der römischen Fernstraßenanbindung, ist die Vichtener Villa ein typischer Vertreter der Axialhof-Villa in den Westprovinzen des Römischen Reiches. Obwohl nur ein kleiner Teil der Domäne untersucht werden konnten, so zeigen doch länger zurückliegende und neuere Befunde das Vorhandensein eines, wenn auch wegen der geografischen Situation, verkürzten Wirtschaftshofes, einer pars rustica.

Die Gesetzmäßigkeiten des nach Ebenmaß errichteten Herrenhauses, lassen sich auf die gesamte Domäne übertragen. Fix- beziehungsweise Ausgangspunkt ist der nach dem Goldenen Schnitt angelegte große Zentralraum mit dem „Musen-Mosaik“.

Das „Musen-Mosaik“ aus Vichten führt uns direkt in die 70 km südöstlich gelegen, pulsierende römische Provinzhauptstadt Trier ins 3. Jahrhundert, einer Stadt mit 40.000 Einwohnern. Von hier aus konnten die hervorragend ausgebildeten Mosaizisten den vermögenden Villenbesitzer im Trierer Umland ein elegantes Mosaik zu Füßen legen. Die gebildeten römischen Gutsbesitzer, neben dem alten romanisierten „Landadel“ bestimmt auch reiche Emporkömmlinge und Beamte, genossen den Luxus auf dem Lande. Für eine zeitliche Nutzung des Haupthauses in der wärmeren Jahreszeit spricht das Fehlen einer Fußbodenheizung unter dem Mosaikteppich. Hier wurde für den Zweitwohnsitz des, wahrscheinlich hauptsächlich in Trier wohnenden Domänenbesitzers, viel „Münze zur Schau gestellt“ und zeugt von der wirtschaftlichen Blüte im römischen Imperium des 3. Jahrhunderts.

Bewusst wählte der solvente Bauherr, ein angenommener Freund und Kenner der antiken Kultur, ein Motiv seiner Wahl, welches den inneren Bezug von Darstellung und Raumfunktion wiedergab. Neben dem vorausgesetzten hohen Bildungsniveau des Auftraggebers scheinen die Mimik und Gesten der Dargestellten - vor allem Homer mit Rednergestus - seine politische Tätigkeit aufzugreifen.

Nicht nur die eigene Erbauung, auch geschäftliche Verabredungen und private Feiern - der skurrile Glockenkraterleib in den Eckzwickeln als Symbol des Bacchus, aus dem die Peltenblüten und Hüllblätter herauswachsen - ließen sich mit diesem polyvalenten Hintergrund untermalen. Eben ein multifunktionaler Mosaiksaal mit Verweis auf die eigene Vorliebe für die hellenistische Kultur und den hohen Rang der Bildung wertschätzten.

Die vorherrschenden Farben, einmal abgesehen vom Grund der Medaillons und dem Vorteppich des Mosaiks, sind Rot- und Brauntöne. Diese begrenzte Farbpalette ist den Natursteinen, insbesondere dem Kalkgestein, und vielleicht dem Zeitgeschmack geschuldet. Schwarz und Weiß, sind im engeren Sinne nicht als absolute Farbwerte zu verstehen, da der Kohlenkalk, zwischen hellerem und dunklerem Grau und der Kalkstein, in unterschiedlichen Gelbtönen für Weiß, für eine natürliche Abschattierung sorgte. Um kostenintensive und zeitraubende Transporte zu vermeiden, wurden vermehrt regional nutzbare Gesteinsvorkommen erschlossen und ausgebeutet. Es entwickelte sich ab dem 1. Jahrhundert in den Nordwestprovinzen eine eigenständige steinverarbeitende Industrie, die sich lokaler Marmorsorten bediente und sich vom Import aus dem Mittelmeerraum emanzipierte. Jedoch mussten weiterhin Buntmarmore mit bestimmten Farbschattierungen, die lokal nicht zur Verfügung standen, importiert und um des Luxus Willen, teuer bezahlt werden. Die rote Farbpalette in den Flechtbändern und im Vorteppich, von Orange bis Rot changierend, wurde ausschließlich mit Terra sigillata-Steinen ausgeführt. Den Darstellungen der Personen waren die, aus Kalkstein gewonnenen, nuancierten Rot- und Gelbtöne vorbehalten. Hiervon profitierte vor allen das Inkarnat der Dargestellten. Hauptsächlich die Ausführungen der prominent platzierten Personen, wie Homer, Kalliope, Polyhymnia, Urania, erfuhren durch die Verwendung des kostbaren blaugrünen Cippolino und des dunkelschwarzen Materials für die expressive Konturierung, eine gewisse Hervorhebung.

Anhand des Andamento, dem Zusammenwirken von Legestruktur und Fuge, konnten mehrere Handschriften identifiziert werden. Dies betrifft zum einen die Figuren und zum anderen der zum Teil fächerförmig gelegte monochrome Grund.

Kennzeichnend für die farbigen und mehrlagigen „Teppich-Mosaiken“ des 3. Jahrhundert in den Westprovinzen des römischen Reiches und eine unverwechselbare Eigenart der Trierer Mosaikwerkstätten sind die Fensteröffnungen in Blütenform inmitten des kompakt gedrängten und dichten Ornamenthintergrundes. In den Eckzwickeln ist der noch unsichere Umgang und die Ambivalenz mit dem sich langsam vollziehenden Paradigmenwechsel hin zur Verwendung von Dreidimensionalität in Flächenmuster und Ornament in Vichten ablesbar.

Waren im 1. Jahrhundert Marmorinkrustationen überwiegend in der Ausstattung von öffentlichen Einrichtungen und kaiserlichen Gemächern anzutreffen, so belegt der Fund in Vichten - rund 150 Jahre später - einen selbstbewussten Einsatz im privaten Bereich. Die römischen Handwerker kombinierten regionale Marmorsorten mit importierten mediterranen. Der Fund von geometrischen oder amorphen Marmorstücken, die der edlen Wanddekoration im opus sectle-Stil zugewiesen werden konnten, überrascht in der Vielfalt der Marmorsorten und Formen. Auch die kreativ, frei gestalteten Konturlinien der großen Buntmarmorplatten - als Bestandteil des opus sectile - suchen ihresgleichen in der Region.

Aus Pompeii und Hercunaleum sind viele Beispiele aus privat genutzten Räumen erhalten, wo kostengünstiger Marmorabfall nur den Fußboden und aufwändige Wandmalereien - Marmorinkrustationen nachahmend - die Mauern veredelten. In Vichtener kopierte die Wandgliederung mit breitrechteckigen Marmorplatten, den Orthostaten, traditionsreich den 2. pompejanischen Stil (80 v. Chr. bis 20. v. Chr.) mit Felder-Lisenen-Gliederung.

Parallelen zur Deckengestaltung finden sich auch in Pompeii. Die vielfarbigen Malereien verzierten ein Kreuzgratgewölbe, welches sich über dem Hauptmosaikteppich spannte und einer gewölbten Decke über dem hinteren Speisebereich, dem Nebenmosaikteppich.

In einer angemessenen Erscheinungsform dargestellt, zeigt sich uns der Hausherr selbstbewusst als Homer nach rund 1.800 Jahren wirklichkeitsgetreu und individuell porträtiert. Der Ursprung der Porträthaftigkeit, ausgehend vom augusteischen Klassizismus (27 v. Chr. bis 14 n. Chr.), beruft sich auf griechisch klassische Traditionen (Pelikan 1964: S. 107f). Diesen Realitätssinn rezipiert offenbar das ernste Souveränität ausstrahlende Porträt im „Musen-Mosaik“ aus Vichten. Hier schließen sich in der Physiognomie Form und Bedeutung zu einer Einheit zusammen.

Warum der pater familias sein so geschmackvoll hergerichtetes Landgut mitten in der Umbauphase übereilig verließ, wissen wir nicht. Umstände, wie die Ermordung des letzten Severerkaisers SEVERUS ALEXSANDER 235 n. Chr. oder die darauffolgenden brutalen Soldatenkaiser, sind vielleicht der Schlüssel. Nicht selten wurden bei den, nun schnell aufeinanderfolgenden Machtwechseln, die alten Günstlinge beseitigt und die Ländereien verfielen oder wurden vom neuen Herrn übernommen. Doch waren die Mühen des ehemaligen Domänenbesitzers nicht ganz umsonst. Als Keimzelle des heutigen Dorfs Vichten entwickelte sich die nachrömische Siedlung aus den sichtbaren Resten der Nebengebäude der Römervilla.

Die Restaurierung des Mosaiks erfolgte ausschließlich mit Naturstein - rund 65000 Steinwürfelchen gleich 10% der Schadensfläche - in der direkten und indirekten Setztechnik. Diese Methode ist die geeignetste, da die Schließung der Fehlstellen für das Auge sehr harmonisch wirkt. Dies liegt unter anderem daran, dass das gleiche Steinmaterial in der gleichen antiken Technik in die zerstörten Flächen gesetzt beziehungsweise eingelassen wird. Jedoch mit dem für das Auge nicht negativen Umstand, dass die neuen Steine im Farbton klarer und kräftiger als die Originalsteine erscheinen. Somit ist für den Betrachter das Erkennen der ergänzten Zerstörungen durch die Material-Kompatibilität kein visuelles Problem und die Mosaikflächen verschmelzen zu einem harmonischen Ganzen.

Am Mosaikestrich gelang der Nachweis der VITRUV‘schen bauhandwerklichen Technik und Rezeptur. Anhand vergleichender Proben aus dem römischen Imperium, konnte in der geochemischen Zusammensetzung der weit entfernten Orte die stringente Einhaltung der Vorgaben nachgewiesen werden. Dies spricht gegen die vermutete Annahme der unterschiedlichen Fundamentierung von römischen Mosaiken im 3. Jahrhundert.

Eine Holzprobe aus dem römischen Estrich unterstützt die These der Entstehung des Ulmener Maar vor rund 9600 Jahren. Der letzte datierbare Vulkanausbruch im Ulmener Maar entspricht dem Alter der Holzprobe. Rund 7700 Jahre später müssen die römischen Ingenieure den Zeitmarker, das vulkanische Auswurfmaterial als Tuffschichten, dem Trass, in der Eifel entdeckt und im Obertagebau abgebaut haben. Ein zeit- und kostenintensiver Transport des wertvollen und unverzichtbaren pyroklastischen Baustoffes für den römischen wasserfesten Beton, dem opus caementitium, aus der italienischen Region bei Kampanien erübrigte sich damit.

Die gemachten Beobachtungen während der Grabung und vor allem der Restaurierung, lassen folgende rekonstruierbare Chronologie der Arbeitsabläufe der Umbaumaßnahmen im Zentralraum der Römervilla zu:

  1. Trennmauer entfernt und zwei ungleich große Räume zu einem großen Zentralraum vereint. Seitenlängen entsprechen nun dem „Goldenen Schnitt“.
  2. Alten Bodenbelag teilweise entfernt und Untergrund über dem Aquädukt planiert, nivelliert und erste Bettungsschicht (stamnum) - als Träger für das Mosaik - eingebracht. Die solide Subtruktion der Vorgängerräume ergänzt vorbildlich den neuen und hielt dadurch dem enormen Bodendruck stand.
  3. Alte Putzreste von den Wänden entfernt.
  4. Kreuz- und einfaches Gewölbe für die Deckenmalerei vorbereitet – Verlattung mit dünnen Leisten und Stäben. Abdichtung mit Schilf.
  5. Anschließend dreilagigen Unter- (arriccio) und zweilagigen Oberverputz (intonaco) aufgebracht.
  6. Zweite Schicht Bettungsmörtel (rudus) für das Mosaik eingebracht, als Auflage für die zweireihige Marmorplattenverkleidung und opus sectile.
  7. Wandvertäfelung ausgeführt.
  8. Freiflächen über der Wandvertäfelung mit genagelten Schieferplatten und Dachziegelresten und einer Lage arriccio planiert.
  9. Felder mit opus sectile über und/oder in die Wandvertäfelung angebracht oder integriert.
  10. Freiflächen der Wände über dem opus sectile zweilagig verputzt = arriccio.
  11. Deckenmalerei ausgeführt.
  12. Dritte Bettungsschicht (nucleus) für das Mosaik eingebracht.
  13. „Musen-Mosaik“ verlegt.
  14. Dritte Lage des Unterverputzes (arriccio) und zweilagigen Oberputzes (intonaco) an den Wänden nicht ausgeführt. Projektierte Wandmalereien im Mosaiksaal nicht mehr vollendet.
  15. Auflassung des Hauptgebäudes und sichtbare Ruine Steinraub überlassen.

Nicht abgeschlossene Arbeiten

Unfertige Renovierungsmaßnahmen an der Palastvilla verleiten zu der Annahme, dass die Bauarbeiten nicht vollendet wurden:

  • Das Fehlen von Holzresten im Raum (Gang) 4 mag der Renovierungsphase geschuldet sein. Da die neuen Bodenbeläge noch fehlten, wurde der Boden durch zahlreiche Handwerkerfüße verdichtet.
  • Das Mosaik war im Eingangsbereich anhand des Schadensbildes ungeschützt über einen längeren Zeitraum der Witterung ausgesetzt: der Einbau der massiven Türen unterblieb mangels Vertiefungen in den Schwellensteinen für die Türangeln.
  • Dass ganz zum Schluss nicht mehr mit der nötigen Sorgfalt gearbeitet wurde, dokumentiert auch die Nordost-Ecke in der Randzone des Musterrapports, die nicht in das ansonsten perfekte Bild des fertig verlegten „Musen-Mosaiks“ passt. So fehlt hier in der Ecke von Feld IV und am Rand der Nordwand der letzte und abschließende Arbeitsschritt. Anscheinend wurden zum finalen Abschluss der Verlegearbeiten an der Nord-Wand, nach bewährter Manier, die restlichen Begrenzungshölzer entfernt, die entstandene breite Lücke im Nucleus mit minderwertigem Mörtel gefüllt und in die noch zu frische Bettungsunterlage die sieben Ausgleichsreihen schwarzer Marmorwürfel gesetzt. Die abschließende Oberflächenbearbeitung, durch Abschleifen und Polieren mit Sandsteinblock und Marmorstaub, welche am restlichen Mosaik nachweisbar ist, blieb jedoch aus.
  • Auf dem schwarzen Randstreifen von Feld XVIII und der Ecke von Feld IV sind auch noch Reste der Versinterung von der improvisierten Verlegung der Mosaiksteine erhalten.
  • Allem Anschein nach haben auch die Mosaizisten während der umfangreichen Renovierungs- und Umbaumaßnahmen die Baustelle zügig aufgelassen und ihren zum Teil wertlosen Mosaiksteinabfall in der Ecke von Raum (Gang) 4 in Form von Abschlagsresten und kleinen Steinwürfeln liegenlassen.
  • Es sind augenscheinlich keine Abnutzungsspuren, wie abgerundete Kanten der Steinkuben, die auf eine längere Benutzungsdauer schließen lassen, erkennbar.
  • Der unerlässliche Oberverputz oberhalb der Inkrustation im Mosaiksaal, als Trägermaterial für die Freskenmalerei, blieb unvollendet.
Expand Expand Abb. 199
Restauriertes Zentralmedaillon im Untergeschoß des Rheinischen Landesmuseums Trier (Quelle: MNHA/Rainier Fischer, 1995)

Legende Abb. 199

Gemeinsam freuen sich im Dezember 1995 die freundschaftlich verbundenen Unterstützer des Mosaikrestaurierungsprojektes: Dr. Heinz Cüppers (ehem. Direktor des Rheinischen Landesmuseums Trier, Mitte) und Egon Lutz (ehem. Leitender Restaurator des Museums, rechts) mit dem Verfasser über das gelungene Ergebnis des restaurierten Hauptfeldes XV des „Musen-Mosaiks“. Die erste Präsentation des Zentralmedaillons erfolgte in der Ausstellung „Empreintes du Passé. Acquis et défis de l’archéologie luxembourgeoise“ vom 16. Dezember 1995 bis 17. Juni 1996 im Nationalmuseum für Geschichte und Kunst am Fischmarkt. Im März 2002 wurde schließlich, wie vor 1700 Jahren, das Zentralmedaillon als Ausgangspunkt für die Neuverlegung der restaurierten 22 Felder im neuerrichteten Teil des Nationalmuseums auf einem Rahmen aus Vierkantrohren zentriert.

Expand Expand Abb. 200
Römischer Mosaizist beim Verlegen des Quadratfeldschemas (Quelle: MNHA/Benoît Clarys)