1.3. Verortung der Fundstelle

Neben dem oben bereits erwähnten Urkataster, wurde die Fundstelle, eine langrechteckige Ackerfläche oberhalb des Dorfes Vichten1, auch schon auf der bekannten Ferrariskarte von 1771-17772 etwas verzerrt dargestellt (siehe Abb. 3). Es fehlen jedoch die Flurnamen auf dem ca. 250 Jahre alten Kartenausschnitt.

Die damalige Ackerfläche war von zwei Seiten mit Wald umgeben und wird in NO Richtung von der Landstraße C.R. 305, der Verbindung von Schandel/Useldingen nach Diekirch, geteilt. Südwestlich, zum Bach Viicht hin, begrenzte Wiesen- und Schwemmland das fundreiche archäologische Areal. Auf der Höhe des Buchstabens V links auf der Karte, ist ein vereinzelter Baum - heute steht an gleicher Stelle auf einem Vorsprung der natürlichen Terrasse eine Scheune - dargestellt. Von hier lag in Sichtachse - über die Kapelle hinweg - das Herrenhaus in 1350 pes oder rund 400 m (Längenmaß 1 pes (römischer Fuß) = 295,7 mm; ). Ein Teil des vermuteten römischen Wirtschaftshofs ist in etwa deckungsgleich mit der darüber liegenden Siedlung des 18. Jahrhunderts. Die Kapelle liegt noch gegenüber der Straßenseite in einem eingefriedeten Bezirk.

Expand Expand Abb. 3
Ausschnitt aus der Ferrariskarte, Ende 18. Jahrhundert, mit dem verzerrt abgebildeten Acker der Fundstelle und signifikanten Strukturen (rot markiert) (Quelle: MNHA/Rainier Fischer auf Grundlage von Bibliothèque royale de Belgique)

Legende Abb. 3

  1. Fundstelle/Herrenhaus = pars urbana
  2. 18, rue Principale (römische Strukturen des Wirtschaftshofes = pars rustica)
  3. Kapelle
  4. Landmarke
  5. Römische Fernstraßenverbindung Reims (Lyon)-Köln

Heute grasen Kühe auf der Hangweide und ein beträchtlicher Teil der römischen Trümmerstelle, der dazugehörige Wirtschaftshof, ist modern überbaut und war, bis auf eine spätere Notgrabung in der 18, rue Principale, nicht in die Grabungskampagne mit einbezogen. Die Topografie des landwirtschaftlichen Anwesens lässt sich im Gelände nur erahnen.

Eine 1995 durchgeführte geophysische Prospektion (), mit dem Ziel, die Ausmaße des Haupthauses zu lokalisieren, ohne den weitläufigen Wirtschaftshof mit einzubeziehen, bestätigte die, unter anderem von der Echternacher Großvilla (), bekannten Ausdehnungen der Gebäudegrundflächen. Der etwa 60 m lange Stallneubau zerstörte und überbaute die östliche Hälfte des Herrenhauses komplett (siehe Abb. 4). Entgegen der sonst üblichen Ostorientierung der rund 100 m langen Gebäudeachse zur aufgehenden Sonne hin, wählte der Architekt - die Topografie berücksichtigend - eine wirkungsmächtige südliche Ausrichtung.

Von der im Ort gelegenen Straßenkreuzung quert westlich der Fundstelle die aus Bissen kommende Landstraße C.R. 306 den Bach Viicht und verlässt das Dorf nach Grosbous. Der Ort wird durch die SN verlaufende Landstraße C.R. 305 zweigeteilt, wobei der westliche Ortskern, von den Ortsansässigen als Oberdorf bezeichnet, den ehemaligen Bereich des Wirtschaftshofes, die pars rustica verdeckt. Die angenommenen Nebengebäude waren wohl symmetrisch auf beiden Seiten der Einfriedung in zwei langen, geraden Reihen angeordnet (siehe Abb. 7). Auffällig ist ein ungelenker z-förmiger Knick der Dorfstraße (Hauptstraße), der parallel zum Bach Viicht und axial im rechten Winkel zum ehemaligen Herrenhaus verläuft. Hier wurde anscheinend der Verlauf der Straße den verbliebenen Gebäuden, der massiven Hofmauer und den Ruinen des Wirtschaftshofes entlang der Furt angepasst. Beziehungsweise der alte Verlauf des Wirtschaftsweges wurde übernommen, der das ehemals eingefriedete Hofareal durch zwei Tore querte. Ebenfalls auf den Verlauf einer vorgeschichtlichen Trasse nahm die Bebauung des Wirtschaftshofs der römischen Villa von Perl-Borg (Landkreis Merzig-Wadern) Rücksicht, die später auch als Römerstraße weiter benutzt wurde (). In der Sichtachse des Herrenhauses, zwischen dem Mosaiksaal als Ausgangspunkt A und der in etwa 714 m (rund 2400 pes) Entfernung zu einer der römischen Trümmerstellen auf der „Akscht“ liegenden Endpunkt E, liegt die alte Kapelle C - exponiert an der Straßenkreuzung - innerhalb des antiken Dispositionsschema. Antike Ruinen waren ein willkommener Rohstofflieferant zur Gründung von christlichen Weiheorten.

Expand Expand Abb. 4
Topografische Karte mit der hypothetischen Bemaßung der römischen Domäne (1) und Fundstellen in unmittelbarer Nähe im Bezug zur römischen Fernstraßenverbindung (5) Reims (Lyon)-Arlon-Bitburg-Köln (Quelle: MNHA/Rainier Fischer auf Grundlage von geoportail.lu, 2020)

Legende Abb. 4

  • A-B (Strecke Mosaik-Bach): 104 m = 351,71 pes (rund 350 pes) = Seitenlänge Villa
  • B-C (Strecke Bach-Kapelle): 120 m = 405,82 pes (rund 400 pes)
  • C-D (Strecke Kapelle-Landmarke): 180 m = 608,73 pes (rund 600 pes)
  • D-E (Strecke Landmarke-römische Trümmerstelle Akscht I): 310 m = 1048,36 pes (rund 1000 pes)
  • A-E (Strecke Mosaik-römische Trümmerstelle Akscht I): 704 m = 2414,62 pes (rund 2400 pes)
  • E-F (Strecke römische Trümmerstelle Akscht I-Grabdenkmal Nolstaen(?)): 650 m = 2198 pes (rund 2200 pes)
  • F-A (Strecke Grabdenkmal Nolstaen(?)-Mosaik): 310 m = 1048,36 pes (rund 1000 pes)
  • A-G (Strecke Mosaik-römische Trümmerstelle Akscht II): 968 m = 3273,59 pes (rund 3300 pes)

Für einen nach Ebenmaß geplanten symmetrischen Ausbau der repräsentativen Steinbauphase zwischen dem 1. und 3. Jahrhundert sprechen zahlreiche Indizien, unter anderem ablesbar an den glatten römischen Fußmassen. Basierend auf den Messdaten der geophysischen Prospektion misst die Länge des Hauptgebäudes (1) - Anbauten oder Erweiterungen nicht berücksichtigt - genau 350 pes. Das entspricht, ausgehend von der Breite des Mosaiks von 35 pes (= 10,36 m), einer Wohnfläche von mehr als 1000 qm. Interessant als Detail ist das Verhältnis von Länge zu Breite von 10:1 und offenbart metrische Gesetzmäßigkeiten, die auf die gesamte Domäne übertragbar sind.

Die Seitenlänge des Herrenhauses spiegelte sich in der planvollen Anlage des Landgutes auch als Verdopplungsparameter wieder. Ausgangspunkt ist die mittig angelegte Symmetrieachse des Gebäudekomplexes, die als Fixpunkt den Mosaiksaal hervorhebt. Von diesem aus beginnend, beträgt die Entfernung zwischen dem Mittelpunkt der Villa (296 m ü. NHN) und dem Bach Viicht ebenfalls 350 pes (= rund 104 m), was wiederum der Länge der Villenachse exakt entspricht. Weiter entlang der Sichtachse sind es vom Bach bis zur ungelenk querenden Straße mit der Kapelle im Fokus nochmals genau 400 pes (= rund 120 m). Die moderne Landstraße C. R. 306 quert heute den ehemaligen Wirtschaftshof. Auf der Höhe des Knicks des Straßenverlaufs wurde 2005 eine Notgrabung (2) durchgeführt, die zur Entdeckung eines der Nebengebäude der Villa führte. Ebenfalls an der Hauptstraße etwas unterhalb in der Sichtachse gelegen, die Kapelle (3). Blickt man Richtung Süden, liegt in 600 pes (= rund 180 m) Entfernung eine Scheune (4) als Landmarke im gegenüberliegenden Hang „Beelz“ praktisch auf gleicher Höhe: 313 m ü. NHN. Addiert ergibt sich eine Gesamtstrecke von 1000 pes oder rund 300 m, die verdoppelt zur römischen Trümmerstelle I in der „Akscht“ (germ. akraz = Acker) führt.

Denkbar ist, dass die gegenüberliegende Scheune - auf halbem Weg zwischen den beiden Ausgangspunkten - ehemals als Standort eine besondere Funktion im Symmetriegefüge des Landguts innehatte. Peter-Mathias Siegen vermerkte auf seiner Karte aus dem Jahre 1883 oberhalb der Landmarke den Fund eines römischen Inschriftensteins, der wohl zur Weiterverarbeitung beim Abtransport vom Plateau hier strandete. Diese Häufung von regelmäßigen Abständen, unter Berücksichtigung von Geländeformationen, entsprach der üblichen Praxis der durchdachten Planung eines systematisch angelegten römischen Landgutes.

Der Rücken der vorspringenden Geländeformation in der Flur „Beelz“ (mhd. bellez = Beule), spiegelt die Sichtachse der Villa wieder oder kann auch als Verlängerung derselben gesehen werden. Es ist nicht überraschend, dass sich oberhalb der „Beelz“ auf dem sich abflachenden Gelände der Flur „Akscht“ in 2400 pes (= rund 714 m) Entfernung zum Mosaiksaal der Villa römische Strukturen befinden.

Im oberen Teil des romanischen Turms, in der dem Heiligen Michael geweihten Pfarrkirche von Vichten, wurden drei römische Spolien unterschiedlicher Qualität und Größe - links auf Höhe des Gurtbogens über der Doppelarkade - sichtbar vermauert. Der über die Grenzen Luxemburgs bekannte Jesuitenpfarrer und Universalgelehrte Alexander Wiltheim (18.10.1604 - 15.08.1684) erwähnte in seinem Hauptwerk „Luciliburgensia Romanum“ () die Spolien und zeichnete detaillierte Skizzen der römischen Steine. Der große Kopf vom Kirchturm (siehe Abb. 5) und der Kopf (rot markiert) vom Sammelfoto (siehe Abb. 6) auf der oberen Treppe stammen womöglich vom gleichen Denkmal. Ein Hinweis, dass die sichtbaren Ruinen der römischen Vergangenheit in der Umgebung von Vichten bis in das Mittelalter hinein als Steinbruch dienten. Sie könnten im 11. oder 12. Jahrhundert als mittelalterlichen Steinraub von demselben römischen Grabmonument, der der gallo-römischen Landvilla gegenüber auf einer Anhöhe gelegenen Trümmerstelle von „Akscht“, hierher verbracht worden sein.

Über 1000 Steinfragmente (siehe Abb. 6, G = Trümmerstelle II) legten Waldarbeiter zwischen 1918 und 1921 im Flurbereich „Akscht“ () bei Rodungsarbeiten auf dem zur Gemarkung Vichten gehörenden Gelände des Notars Edmond Reiffers frei und posierten eine Auswahl der rund 300 skulptierten Trümmersteine für mehrere Sammelfotos auf der Kirchentreppe im Ort. Dass das Gelände bei der fränkischen Landnahme als Ackerland genutzt wurde und nicht bewaldet war, belegt der Name „Akscht“ (siehe oben). Ob auf der exponiert, auf einer Anhöhe gelegenen Stelle ein römisches Grabdenkmal oder ein kleiner Tempelbezirk () stand, bedarf weiterer Forschungen am Steinmaterial. Ebenso, ob nun die Trümmerstelle „Akscht“ und der Grabsockel mit dem verschollenen monumentalen Grabdenkmal aus der Flur „Nolstaen“ (siehe Kapitel Weitere Fundstellen in der Umgebung) zu dem topografischen Raumgefüge (siehe Abb. 7) der „Musen-Mosaik-Villa“ gehören. Die vielen Lesefunde auf dem weiter südlich gelegenen Teil des Plateaus zwischen Schandel und Vichten stehen jedoch im engen Zusammenhang zur römischen Straßenkreuzung bei Schandel. Eingebettet auf der Anhöhe und weithin sichtbar lag die römische Trümmerstelle. In Sichtachse und -weite der Villa, auf der auf der gegenüberliegenden Seite des Baches Viicht, verkehrsgünstig an der alten „Römerstraße“ der heutigen Landstraße C.R. 305 gelegen.

Expand Expand Abb. 5
Verschleppte Relieffragmente von der Flur „Akscht“? Zwei Köpfe und ein Girlanden tragender Putto im oberen Kirchturm neben dem romanischen Schallloch vermauert. Blickrichtung nach Nordost (Quelle: MNHA/Rainier Fischer, 2020)
Expand Expand Abb. 6
Sammelaufnahme mit einem Teil der geborgenen Skulpturen- und Architekturfragmenten eines römischen Grabdenkmals von der Flur „Akscht“ (Quelle: MNHA/Rainier Fischer auf Grundlage von Archiv MNHA, 2020)

  1. . Teilgebiet VIb: Unterlauf der Attert. S 108. Der Name Vichten änderte phonetisch im 10. Jahrhundert von Fvohta (ahd. Fiohta = die Rottanne oder gemeine Fichte) über Fuohde im Jahre 1241 zu Vichte. Ab 1431 ist der Ortsname Vichten gebräuchlich. ↩︎

  2. Auf Initiative des aus Lothringen stammenden Generalleutnant Joseph Johann von Ferraris - geboren am 22. April 1726 in Lunéville (Département Meurthe-et-Moselle) und gestorben am 01. April 1814 in Wien - angefertigte Landkarten für die österreichischen Niederlande. Der Ort Vichten ist dem Kartenteil Osperen (www.kbr.be/en/the-ferraris-map), Nr. 222 entnommen. ↩︎

Bibliografie

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Furger, A. (1989). Römermuseum und Römerhaus Augst, Kurztexte und Hintergrundinformationen. In Augster Museumshefte, 10. Augst.
Krier 2015
Krier, J. (2015, März 18). Römervilla in Vichten: Aus Antike wird Aktualität. In Luxemburger Wort. https://www.wort.lu/de/lokales/aus-antike-wird-aktualitaet-550953570c88b46a8ce55a39
Krier & Henrich 2011
Krier, J., & Henrich, P. (2011). Monumental funerary structures of the 1st to 3rd centuries associated with Roman villas in the area of the Treveri. In N. Roymans, & T. Derks (Eds.), Villa landscapes in the Roman North. Economy, Culture and Lifestyles. Amsterdam Archeological Studies, 17, S. 211-234. Amsterdam.
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Langini, A. (2011). Die Sankt Michaelspfarrkirche in Vichten. In De Viichter Geschichtsfrënd, 10, S. 14-20. Vichten.
Martini 2015
Martini, S. (2015). Viae iungunt – Das Beispiel der Römerstraße Augusta Treverorum/Trier - Divodurum/Metz. In Archäologentage Otzenhausen - Archäologie in der Großregion, 2, S. 133-148.
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Metzler, J., Zimmer, J., & Bakker, L. (1981). Ausgrabungen in Echternach. Luxemburg.
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Meyers, J. (1976). Studien zur Siedlungsgeschichte Luxemburgs. Luxemburg.
Wilhelm 1974
Wilhelm, E. (1974). Pierre sculptée et inscriptions de l’époque romaine. Luxemburg.